KlassikWoche 32/2019

Wut-Publikum, Gergiev-Zoff und die wunder­bare Lise Davidsen

von Axel Brüggemann

5. August 2019

Dieses Mal mit einer poli­ti­schen Debatte über Valery Gergiev, mit ersten Eindrü­cken von den Salz­burger Fest­spielen und aller­hand Zoff um Leonard Bern­stein und beim Maggio Musi­cale.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

dieses Mal mit einer poli­ti­schen Debatte über Valery Gergiev, mit ersten Eindrü­cken von den Salz­burger Fest­spielen und aller­hand Zoff um Leonard Bern­stein und beim Maggio Musi­cale.

WAS IST

SALZ­BURGER PUBLI­­KUMS-MOB

Die Première war ein Fest der Stimme:  mit „Butter­crème und Pathos“ in der konzer­tanten Auffüh­rung von Adriana Lecou­vreur bei den Salz­burger Fest­spielen. Dann kam ein Schnupfen, und das eigent­liche Drama nahm seinen Lauf: Als der kauf­män­ni­sche Direktor der Fest­spiele, Lukas Crepaz, Netrebkos Absage bei der zweiten Auffüh­rung bekannt gab und dann auch noch erklärte, dass Ehemann Yusif Eyvazov indis­po­niert sei, drehte der Salz­burger Gold­ketten-Mob voll­kommen durch: „Es begann ein heftiges, laut brül­lendes Buh-Konzert, mit deut­li­chen Verbal­in­ju­rien“, die Leute schimpften, schrien, zerrissen provo­kant ihre Eintritts­karten und ließen ihre Enttäu­schung an Eyvazov aus. Man mag davon halten, was man will, dass die Netrebko am liebsten mit ihrem Mann auftritt. Aber wer sich eine Opern­karte allein für einen Namen kauft und am Ende sauer ist, dass der Name Husten hat, sollte den Sinn der Insti­tu­tion Oper einfach mal über­denken. Beson­ders bei Netrebko, die nun wirk­lich nicht als Absa­gerin bekannt ist. Vor allen Dingen aber könnte man vor lauter Wut die Entde­ckung eines neuen Stars verpassen – in diesem Falle der chine­si­schen Sopra­nistin Hui He, die ihre Sache besser als gut erle­digte.

FACE­­BOOK-KLASSIK WERBUNG 

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe in der letzten Woche fast täglich ein Video der Salz­burger Fest­spiele in meiner Face­book Time­line ange­zeigt bekommen, die mich fast schon pene­trant ange­bet­telt hat, doch bitte­schön Karten für das Konzert von  mit Werken von Beet­hoven und Mahler im Haus für Mozart zu kaufen. Es wird immer klarer: Selbst die Salz­burger Fest­spiele sind längst kein Selbst­läufer mehr. Und das liegt nicht am Programm. Es ist ein eher struk­tu­relles Problem: Auch andere Sommer­mu­sik­fes­ti­vals haben es immer schwerer. Der Grund: Die Konkur­renz wird größer, selbst in kleinen Orten steht inzwi­schen Sommer-Klassik auf dem Programm – die Kosten für einen Besuch in Salz­burg oder lassen viele zwei Mal nach­denken. Es beginnt eine neue Nervo­sität unter den Inten­danten. Die öster­rei­chi­sche Zeit­schrift News berich­tete (in der Print-Ausgabe), wie Salz­­burg-Inten­­dant Markus Hinter­häuser Orches­tern, die in Salz­burg auftreten, inzwi­schen verbietet, bei anderen Festi­vals aufzu­treten – ob das dem Markt hilft, ist frag­lich.

BAYREUTH BIBBERT VOR EGGERT 

Der Kompo­nist Moritz Eggert wurde vor einiger Zeit gebeten, einen Essay für den Alma­nach 2019 zu den Bayreu­ther Fest­spielen zu schreiben. Die Aufga­ben­stel­lung war: „Wie sieht Bayreuth im Jahre 2049 aus?“ Also machte er sich an die Arbeit: Eine virtu­elle Bayreuth-Führung aus der Retorte. In seinem Text steckt sehr viel lustige Wut, ein biss­chen Absur­dität und aller­hand Wagner-Hass … war das der Grund, dass der Alma­nach beschloss, Eggerts Artikel dann lieber doch nicht zu drucken? Klar, die Angriffe auf Eggerts Lieb­lings­feindin, Nike Wagner, sitzen. Nun ist sein verbaler Rund­gang über und unter der Bayreu­ther Gürtel­linie eben hier nach­zu­lesen. Wer es ernst­hafter mag, dem sei der Essay über Bayreuth und die Verar­bei­tung des Natio­nal­so­zia­lismus von Udo Berm­bach in der NZZ empfohlen.

NACH­KLAPP GERGIEV

Letzte Woche haben wir von den Verrissen für Valery Gergievs Bayreu­ther Tann­häuser berichtet. Nun sickerte durch: Die Fest­spiele werden sich im nächsten Jahr von dem russi­schen Diri­genten trennen. Gergiev wird durch  ersetzt. By the way: ein hübscher Tipp-Fehler in einem Kommentar über Gergiev unter­lief dem ehema­ligen Welt-am-Sonntag-Chef­re­dak­teur Peter Huth, der Gergiev „homphonie“ unter­stellte. Derweil fragte die Bild-Zeitung wieso Angela MerkelJens Spahn und Katrin Göring-Eckardt dem „homo­phoben“ Maestro, der gern die von Europa sank­tio­nierte -Politik Russ­lands vertei­digt, über­haupt applau­dieren. Die Antwort: Spahn und sein Ehemann applau­dierten gar nicht, und Göring-Eckardt erklärte: „Das rich­tige poli­ti­sche State­ment hat der Regis­seur gegeben: die Regen­bo­gen­fahne auf der Bühne und die Insze­nie­rung, die frei und offen war, waren stark.“ Und Gergiev? Der erklärte einer russi­schen Zeitung, dass die kollek­tiven Verrisse in Europa nicht an seinem Dirigat gelegen hätten, sondern daran, dass es eben sei wie bei den pro-ukrai­­ni­­schen Demons­tra­tionen in den : alles orga­ni­siert!

WAS WAR 

ZOFF BEIM HESSI­SCHEN RUND­FUNK 

Große Reso­nanz gab es auf den letzten News­letter – vor allen Dingen von Mitar­bei­tern des Hessi­schen Rund­funks, dessen Kultur­sender hr2-kultur in einen Klassik-Sender umge­wan­delt werden soll. Programm­di­rektor Heinz-Dieter Sommer und Wellen­chefin Ange­lika Bier­baum, beide kurz vor der Pensio­nie­rung, ebenso wie Inten­dant Manfred Krupp, wollen das aufwän­dige Kultur­radio zu einen Musik-Dudel-Sender umstruk­tu­rieren. Eine der Mails, die mich aus dem Haus erreichte, lautete wie folgt: „Der HR hat seit 15 Jahren keinen Musik­re­dak­teur (außer für Neue Musik – ohne rechte Sende­zeit…) mehr einge­stellt, das heißt: es gibt gar keine Redak­tion, die ein solches Programm auch nur notdürftig stemmen könnte. BR-Klassik als Maßstab: die brau­chen mindes­tens 50 feste und freie Mitar­beiter … Von France Musique und BBC3 ganz zu schweigen, aber mit denen muss sich der halt im Internet messen!

ZOFF BEIM MAGGIO MUSI­CALE

Nun ist der Diri­gent Fabio Luisi sicher­lich nicht der leich­teste Maestro unter der Sonne. Dass er das Festival Maggio Musi­cale in  quasi fristlos verlässt, hängt aber weniger mit seinem Tempe­ra­ment, sondern damit zusammen, dass sein Chef, der Gründer des Festi­vals, Cris­tiano Chiarot, geschasst wurde und in Zukunft vom einfluss­rei­chen Thea­ter­ma­nager Salva­tore Nastasi ersetzt wird. „Ich kündige meinen Rück­tritt mit extrem gemischten Gefühlen an und mit persön­li­chem Bedauern“, erklärte Luisi, „aber die für mich nicht nach­voll­zieh­baren stra­te­gi­schen Entschei­dungen sorgen bei mir dafür, dass mein Wille erlahmt ist, die neue Rich­tung für das von Chiarot gegrün­dete Festival weiter zu unter­stützen.“ 

ZOFF UM BERN­STEIN-FILM

Der Schau­spieler und Musical-Darsteller Jake Gyllen­haal hatte erst kürz­lich ange­kün­digt, einen exklu­siven Bio-Film über Leonard Bern­stein zu drehen. Daraus wird nun wohl nichts! Denn gerade hat Bradley Cooper bekannt gegeben, er werde diesen Film drehen – und zwar mit Steven Spiel­berg als Produ­zenten. Spiel­berg wird von Para­mount Pictures unter­stützt, für die er gerade Bern­steins West Side Story neu verfilmt (wir haben berichtet). Und Holly­wood ist hart. Bern­steins Kinder, Jamie, Alex­ander und Nina sind die Herren über die Kompo­­nisten-Rechte, und sie erklärten nun: „Wir sind von Para­mount Pictures über­zeugt. Sie verstehen unseren Vater und sind begeis­tert davon, seine Geschichte zu erzählen.“ Gyllen­haal hat inzwi­schen aufge­geben und sein Bern­stein-Projekt begraben. 

AUF UNSEREN BÜHNEN

In seiner Eröff­nungs­rede der Salz­burger Fest­spiele hat Peter Sellars den Umwelt­schutz beschworen – leider auch in seiner Idomeneo-Insze­nie­rung, die einhellig als aufge­stülpt verrissen wurde. Bleibt die Frage, warum Teodor Curr­entzis und Sellars die Oper Mozarts, die sie offen­sicht­lich zusam­men­ge­stri­chen haben, da sie ihnen in großen Teilen nicht gefällt, über­haupt in Angriff genommen haben. +++ Salz­­burg-Inten­­dant Markus Hinter­häuser, so hört man, bleibt Curr­entzis aber dennoch treu: Nächstes Jahr wird er die Fest­spiele wohl mit Don Giovanni eröffnen. – Regie soll Salome-Regis­seur Romeo Castel­lucci führen. Außerdem wird es wohl eine Elektra mit  geben und einen neuen Boris Godunow. +++  insze­nierte in Salz­burg Cheru­binis Médée. Ähnlich wie Tobias Kratzer in Bayreuth ein Fan des Hyper-Realismus. Das Feuil­leton findet: „Für dieses Stück braucht man einfach eine neue Callas“ (Chris­tian Wild­ in der NZZ) oder findet es einfach „Rumsteh­theater mit Go-go-girls (Jan Brach­mann in der FAZ). Die eigent­liche Frage scheint mir: Gibt es eigent­lich noch wirk­lich neue Regie-Perspek­­tiven? Oder beob­achten wir gerade Höhe­punkt und Ende des so genannten Regie­thea­ters? +++ Das Theater Hagen ist einer der Über­ra­schungs­sieger in der Umfrage des Thea­ter­ma­ga­zins Die Deut­sche Bühne. 60 Autorinnen und Autoren wählten die west­fä­li­sche Bühne auf den Spit­zen­platz in der Kate­gorie „Über­zeu­gende Thea­ter­ar­beit abseits großer Thea­ter­zen­tren“.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Riccardo Muti will nicht mehr an der Mailänder Scala diri­gieren – auch nicht unter dem neuen Direktor Domi­nique Meyer: „Ich schätze Meyer, er wird an der Scala eine groß­ar­tige Arbeit leisten. Das Problem ist, dass ich das Scala-Orchester nicht mehr kenne und nicht weiß, wie es spielt“, so Muti im Inter­view mit der Tages­zei­tung Il Giornale„Ich weiß nicht mehr, auf welchem Niveau das Orchester spielt, und ich habe keine Lust, mich an die Arbeit zu machen. Es gibt nicht viele Orchester, mit denen ich arbeite.“ +++ Der Landes­rech­nungshof übt Kritik am geschassten Diri­genten und Inten­danten der Fest­spiele in Erl, Gustav Kuhn. Der soll seine Spesen „nicht nach­voll­ziehbar doku­men­tiert“ haben. +++ Letzte Woche haben wir über das berichtet. Diese Woche hat Udo Badelt im Tages­spiegel ein sehr lesens­wertes Porträt über den Pianisten Saleem Ashkar geschrieben – er hat ein Orchester für jüdi­sche und paläs­ti­nen­si­sche Israelis gegründet. 

WAS LOHNT

, die Elisa­beth in Bayreuths „Tann­häuser“ hat eine Aufnahme mit Strauss und Wagner heraus­ge­bracht – hörens­wert.

Sie war die große Entde­ckung der Tann­häuser-Première der Bayreu­ther Fest­spiele. Nun kann man die Norwe­gerin auch zu Hause im Wohn­zimmer die „teure  besingen lassen – Lise Davidsen hat die Vier letzten Lieder von und Arien aus Tann­häuser und Ariadne aufge­nommen: Strah­lend, samtig und mit wunderbar geführter Dramatik, voll­kommen ohne Kitsch. Begleitet wird sie vom zuweilen etwas schlep­pend auftre­tenden Phil­har­monia Orchestra unter .

In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons