KlassikWoche 52/2019

2019–2020 – Rück­blick und Ausblick

von Axel Brüggemann

23. Dezember 2019

Heute verab­schieden wir das Offen­bach-Jahr 2019 und freuen uns auf das Beet­hoven-Jahr 2020. Der letzte News­letter für dieses Jahr – mit einem Rück­blick und großer Freude auf das, was kommt….

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,


heute verab­schieden wir das Offen­bach-Jahr 2019 und freuen uns auf das Beet­hoven-Jahr 2020. Der letzte News­letter für dieses Jahr – mit einem Rück­blick und großer Freude auf das, was kommt….

WAS IST

KRISE DES CONCERT­GE­BOU­WOR­KEST

Es galt als bestes Orchester der Welt – und ist rasant abge­stiegen. Jetzt geht Concert­ge­bou­wor­kest-Chef Jan Raes, wohl auch, weil er die Affäre um den Diri­genten tita­nisch schlecht im Griff hatte. Einen Nach­folger gibt es nicht, nur einen Über­gangs­kan­di­daten: David Bazen. Aber nicht nur für Musik-Manager scheint das Orchester inzwi­schen ein No-Go zu sein, sondern auch für Diri­genten. Wir dürfen davon ausgehen, dass bereits einige Maestri ( etc.) gefragt wurden, Gattis Posten zu über­nehmen: Aber keiner will!

WENN DIE LICHTER AUSGEHEN

Fach­kräf­te­mangel ist nicht nur in der allge­meinen Wirt­schaft ein großes Thema, sondern auch auf unseren Bühnen! Bis 2030 werde es einen Bedarf von über 2.500 Stellen allein in Deutsch­lands Thea­ter­land­schaft geben, sagt Marc Grand­mon­tagne vom Deut­schen Bühnen­verein dem Deutsch­land­funk: „Aus eigenen Kräften werden wir das nicht stemmen können.“ Beson­ders eng werde es bei Beleuch­tern, Rüst­meis­tern oder Damen­schnei­dern – dabei seien Theater ein perfekter Ort zur Meister-Ausbil­dung. Aber Bezah­lung und Arbeits­be­din­gungen bei Privat­un­ter­nehmen seien einfach besser.

SCHLÄ­GEREI UND SCHLECHTE SITTEN

In einer Sieg­fried-Auffüh­rung der Royal Opera kam es zur Schlä­gerei: Ein Mann hatte einen besseren, freien Sitz okku­piert – was ihm Prügel im Vorspiel der Oper einbrachte. In der FAZ berichtet Gina Thomas nun über das Gerichts­ver­fahren: „Im Verfahren, das der Desi­gner später anstrengte, befand der Richter zu seinen Gunsten. Der Ange­klagte, ein in ausge­bil­deter Anwalt, dessen Name Fear­grieve (wört­lich Furcht­trauern) wie aus einem Dickens-Roman klingt, wurde wegen tätli­chen Angriffs verur­teilt und gegen Kaution entlassen. Die Straf­zu­mes­sung erfolgt im Januar.

PERSO­NA­LIEN

Öster­reichs Kultur­mi­nister Alex­ander Schal­len­berg stellte die nieder­ös­ter­rei­chi­sche Wirt­schafts­lan­des­rätin Petra Bohuslav (ÖVP) als kauf­män­ni­sche Direk­torin der Wiener Staats­oper vor. Eine Wahl, die für Irri­ta­tion sorgt. Während der desi­gnierte Inten­dant Bogdan Roščić derzeit irri­tiert, unter anderem weil durch­ge­si­ckert ist, dass der Ex-Plat­ten­boss einen Groß­teil der Sänger entlassen hat, kaum Eigen­pro­duk­tionen plant und eher einen Spiel­plan nach Marke­ting-Konzepten als nach Kunst-Visionen aufstellt, regt sich nun auch poli­ti­scher Wider­stand gegen seine desi­gnierte kauf­män­ni­sche Direk­torin. Die Partei NEOS fragt, „ob die nieder­ös­ter­rei­chi­sche Landes­rätin unter den 53 Bewer­be­rinnen und Bewer­bern tatsäch­lich objektiv die Best­qua­li­fi­zierte war.“

JAHRES­RÜCK­BLICK: DAS WAR 2019

INSZE­NIE­RUNGEN DES JAHRES

2019 war ein ziem­lich schrilles und queres Opern-Jahr: Meine Top-Drei-Insze­nie­rungen waren der Road-Movie-Tann­häuser von bei den Bayreu­ther Fest­spielen, Die Nase in der Insze­nie­rung von Karin Beier an der Staats­oper und Orpheus in der Unter­welt bei den Salz­burger Fest­spielen von .

DIE KLASSIK-PAARE DES JAHRES

Mir gefiel die Aufstel­lung der Power-Paare der Klassik 2019, die Kollege Norman Lebrecht in seinem Blog auflistet – die Über­ra­schungs-Top-Drei (neben und ) sind wahr­schein­lich: Tenor und die Sopra­nistin Alek­sandra Kurzak, die Sängerin Kate Royal und der Film­schau­spieler Julian Ovenden und die Paarung (Pianist) mit Regis­seurin Chiara Muti, Tochter von .

TRÄNEN DES JAHRES

Viel zu viel Tränen flossen im vergan­genen Jahr. Und es waren Legenden, die gingen – zum Teil die letzten ihrer Art. Wir haben ihnen an dieser Stelle wort­reich nach­ge­sungen: Aber es fehlt ein Stück Vision und Mensch­lich­keit ohne Persön­lich­keiten wie den Diri­genten Mariss Jansons. Ohne den origi­nellen, krea­tiven, zuweilen sehr lustigen – und stets hand­werk­lich genialen Kompo­nisten , ohne die Pianistin Diana Ugor­skaja, deren letzte Aufnahme nun posthum erschienen ist, ohne den Kompo­nisten Jacques Lous­sier, den Diri­genten , das Multi-Genie und natür­lich ohne die einzig­ar­tige: .

DIE ÄRGER­NISSE DES JAHRES…

… waren natür­lich #metoo und der Umgang damit: Am besten zu sehen am Beispiel Sieg­fried Mauser, der noch jetzt der WELT ein absurd larmoy­antes Inter­view gab. Ein wich­tiges Thema, das uns auch 2020 begleiten wird – hoffent­lich mit weniger Schaum vor dem Mund, mensch­li­cher Abwä­gung – und: einem Ohr für die wirk­li­chen Opfer! Enttäu­schend war auch so einiges anderes. Um so span­nender war es, all das hier auszu­de­bat­tieren: Etwa den Streit um Nike Wagner in , um die Gegen­wart der Kompo­si­ti­ons­kunst am Beispiel von Guy Deut­scher, über die Zukunft der und… und … und. Die Klassik braucht, wie jede Nische der Demo­kratie, Trans­pa­renz und einen freien Diskurs! Das ist nicht immer leicht und sorgt zuweilen auch für Beschimp­fungen, wie ich anhand dieses News­let­ters fest­ge­stellt habe – aber es macht Spaß, diesen Debatten ein Forum zu sein!

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

18 Minuten Applaus für in – das freute den Star-Sänger so sehr, dass er drei Zugaben gab – die letzte, „No puede ser“, obwohl das Orchester schon zu Hause war. +++ Anna Netrebko erklärte dem Tages­spiegel, dass sie keine Lust mehr auf sechs Wochen Proben habe. Klar, es lässt sich konzer­tant mehr Geld verdienen – aber Mal unter uns: Wann genau hat die Netrebko denn das letzte Mal sechs Wochen geprobt? 2002 beim Salz­burger „Don Giovanni“? +++ Ursula Hasel­böck wird die Fest­spiele in mit „alpen­län­di­schem Esprit“ beleben, wie es Festival-Mitbe­gründer Matthias von Hülsen ausdrückte. Hasel­böck kommt vom Festival und vom Konzert­haus Berlin, ihr Vorgänger, Markus Fein, wech­selt an die Alte Oper nach .

FROHE WEIH­NACHTEN UND EIN TOLLES 2020

Für mich war 2019 ein span­nendes Jahr – auch, weil wir uns bei CRESCENDO entschlossen haben, diesen News­letter zu starten, der Ihnen hoffent­lich ebenso viel Spaß macht wie mir (natür­lich würden wir uns sehr freuen, wenn Sie auch Ihren Freunden von uns berichten). Außerdem ist es schön, auf Spotify monat­lich neue Gäste begrüßen zu dürfen. Über­haupt sehe ich in all meinen Film- und Buch­pro­jekten überall: Die Klassik lebt und vibriert – innen wie außen!

Brüg­ge­manns Klassik-Woche ist 2019 als Expe­ri­ment gestartet. Es ist eine wunder­bare Heraus­for­de­rung, jede Woche am Puls der Zeit zu sein: egal, ob die Beset­zung des Chef­pos­tens im Wiener Musik­verein, das Drama um die Oster­fest­spiele in Salz­burg oder die Zukunft des Fern­se­hens – ich freue mich, dass Sie an dieser Stelle in der Regel als erste infor­miert wurden. Ich freue mich über das Vertrauen all jener, die mit mir debat­tieren, streiten oder argu­men­tieren.

Und weil das Jahres­ende auch Rück­blick und Einkehr bedeutet, hier noch der Abschluss eines Dauer-Themas. Mir ist zu Ohren gekommen, dass in den Reihen der Unitel beklagt wird, dass ich zwar sofort über die Unzu­frie­den­heit des mit dem Silves­ter­kon­zert in Sachen Staats­ka­pelle und berichtet hätte, aber noch nicht geschrieben hätte, dass man sich inzwi­schen auf einen Vertrag über zwei weitere Jahre verstän­digt habe. Das sei an dieser Stelle natür­lich eben­falls nach­ge­tragen. Auch, wenn es sich dabei nach meinen Infor­ma­tionen eher um „nicht künst­le­ri­sche Gründe“ gehan­delt haben soll. Mit anderen Worten: Wir werden im neuen Jahr sehen, wie hoch die noch pokern können.

Jetzt kümmere ich mich erst einmal drei Wochen lang um die wesent­li­chen Dinge des Lebens – und hoffe, dass wir uns am 13. Januar an dieser Stelle wieder lesen. Bis dahin wünsche ich Ihnen und den Ihren ein wunder­bares Weih­nachts­fest und ein groß­ar­tiges 2020. Vor allen Dingen aber: halten Sie die Ohren steif

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons