Klassikwoche 03/2020

2020 – die Zukunft hat begonnen

von Axel Brüggemann

13. Januar 2020

Will­kommen im neuen Klassik-Jahr,

alles, was sicher ist, ist, dass alles unsi­cher bleibt – der Wandel hat längst begonnen, auch in der Klassik-Welt. Davon ist heute in der Klassik-Woche die Rede.

WAS IST

beim Radetzky-Marsch. Nächstes Jahr über­nimmt das Neujahrs­kon­zert in .

ZUKUNFT DES NEUJAHRS­KON­ZERTES 

Sind Sie auch mit Andris Nelsons in das neue Jahr gerutscht, mit neuem Radetzky-Marsch (kaum auffällig), und Purple-Velvet-Zelt-Sakko (sehr auffällig)? Haben Sie auch wieder die vom öster­rei­chi­schen Touris­mus­ver­band gespon­serten Kitsch-Einspiel­filme mit flat­ternden Beet­hoven-Noten und einer durch die Gegend hetzenden unsterb­lich verliebten Dame in rotem Kleid ertragen? Sicher, Tradi­tion ist das größte Kapital der Öster­rei­cher, aber auch in Wien klopft die Zukunft an die Tür. Die Rechte für die welt­weite Über­tra­gung aus dem Großen Musik­ver­eins­saal am 1. Januar werden üächstes Jahr von den Wiener Phil­har­mo­ni­kern neu ausge­schrieben – nicht ausge­schlossen, dass Medien-Konzerne jenseits des ORF mitbieten. Die Öster­rei­chi­sche Fußball-Bundes­liga ist mit Live-Spielen ja bereits vom Künigl­berg verschwunden. Sicher ist, dass auch die Klassik-Medien in den 20er-Jahren voll­kommen neu denken werden.

STREAMEN OHNE ENDE

Und auch der Musik-Konsum hat sich nun endgültig geän­dert. Das Audio strea­ming hat sich als umsatz­stärkstes Format im deut­schen Musik­markt etabliert. 2019 haben die Music-Streams mit 107 Milli­arden zum ersten Mal die 100-Milli­arden-Marke geknackt, wie der Bundes­ver­band Musik­in­dus­trie bekanntgab. Zum Vergleich: Im Vorjahr gene­rierten die Deut­schen noch 79,5 Milli­arden, 2017 rund 56,4 Milli­arden Streams. Auch die Labels stellen sich inzwi­schen immer mehr auf das Strea­ming-Modell ein, obwohl auch hier voll­kom­menes Neudenken ange­sagt ist: Viele Orchester wie die und einzelne Klassik-Künstler haben schon ihre eigenen Labels.

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Lust­voll – emotional Intuitiv – geist­voll Salz­burg – Moderne

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THIE­LE­MANNS NEUES OSTER-FESTIVAL

Auch hat uns mit seiner Staats­ka­pelle im wieder über die Jahres­grenze diri­giert. 2019 wurde klar, dass Diri­gent und Orchester die verlassen müssen – Thie­le­manns Vertrag als künst­le­ri­scher Leiter der ist nicht verlän­gert worden. Nun hat er ausge­rechnet in einem Dresdner Boule­vard­blatt ange­kün­digt, dass die Staats­ka­pelle und er zukünftig ein Strauss-Festival zu Ostern in Dresden würden abhalten wollen. Was genau beson­ders daran ist, dass die Kapelle in ihrer Heimat auftritt, ist nicht ganz klar – aber so kommt der Chef­di­ri­gent in Zukunft viel­leicht wenigs­tens auf die von ihm vertrag­lich zuge­si­cherten Diri­gate vor Ort.

BLAS­PHEMIE ODER KUNST? 

Olga Neuwirths Oper „Orlando“ an der hat Ende des letzten Jahres für Furore gesorgt. Nun hat sie ein juris­ti­sches Nach­spiel: Die Kompo­nistin zitiert in ihrem Werk Martin Gott­hard Schnei­ders Kirchen­lied „Danke für diesen guten Morgen“. Nun verbietet der Gustav Bosse Verlag die weitere Verwen­dung: „Das Lied wird in einer kari­kie­rend-entwür­di­genden Form dafür verwendet, die Bigot­terie in der Gesell­schaft darzu­stellen. […] Das Lied Danke für diesen guten Morgenin diesem Kontext zu verwenden, auch wenn dies mit künst­le­risch anspruchs­vollen Mitteln geschieht, entspricht in keiner Weise den Inten­tionen des Kompo­nisten Martin Gott­hard Schneider.

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32 x Beet­hoven – der Klavier­pod­cast mit Igor Levit

Er wird für sein Beet­hoven-Spiel gefeiert. In seinem neuen Podcast nimmt er uns mit auf eine Reise durch die 32 Klavier­so­naten. Spontan, persön­lich und mit viel Musik­bei­spielen.

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WAS WAR

STREIK IN

Der Streik in Frank­reich legt auch die Kultur lahm. (Foto: Stephane de Sakutin)

Boah, Frank­reich! Das ganze Land liegt lahm – auch das Kultur­leben. Eber­hard Spreng berichtet für den Tages­spiegel über durchaus krea­tives Streiken: „Die kommu­nis­ti­sche Gewerk­schaft CGT hat zum verschärften Streik an genau drei Abenden aufge­rufen, an denen in Paris drei wich­tige Premieren statt­finden sollen. Die meisten Theater spielen; nur an der Comédie Fran­çaise streikt die Bühnen­technik. Vor der alten Garnier-Oper hatte das Ballett bereits streik­un­ter­stüt­zend getanzt; das Orchester hatte vor der modernen Bastille-Oper ein Mini-Konzert gegeben, das mit einer Orches­ter­fas­sung der Marseil­laise endete.“ Fakt ist aber auch: Die Première der Oper „Der Barbier von “ an der wurde abge­sagt. Ein Umstand, für den nicht alle Verständnis haben. Auch ich halte es mit dem Regis­seur Philipp M. Krenn, der gerade eben­falls in Paris arbeitet und auf seiner Face­book-Seite schreibt: „Mit allem nötigen Respekt vor den Ängsten und Sorgen der Menschen, vor freier Meinungs­äu­ße­rung und dem Recht auf Streik, frage ich mich dennoch, ob es in einer für das Theater ohnehin schwie­rigen Zeit die rich­tige Antwort ist, Vorstel­lungen abzu­sagen und die Häuser geschlossen zu halten. Vermag ein stummes Theater wirk­lich Druck auszu­üben?

OFFENE FRAGEN AN DER KOMI­SCHEN OPER

Die Sanie­rungs­kosten der Komi­schen Oper in Berlin sollen 227 Millionen Euro betragen. Viel Geld, viel Debatte, berichtet Frederik Hanssen im Tages­spiegel. Inzwi­schen geht es um die Details. Soll das Haus in den Zustand von 1966 oder in den ursprüng­li­chen Zustand gebracht werden? Was ist mit den gerade sanierten Garde­roben? Fragen über Fragen – und Zoff in der Berliner Politik. Die Oppo­si­tion besteht darauf, dass der Umbau erst los geht, wenn jedes Detail geplant ist, um eine Kosten­ex­plo­sion wie an der Linden­oper zu vermeiden. „Diesmal dürfen die Sanie­rungs­ar­beiten wirk­lich erst dann losgehen, wenn die voll­stän­digen Baupla­nungs­un­ter­lagen vorliegen“, betont Sibylle Meister. „Darauf wird das Parla­ment achten.“ Damit die Substanz des Hauses im Vorfeld umfas­send unter­sucht werden kann, würde sie sogar eine Verschie­bung des Baube­ginns in Kauf nehmen.

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PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Ein bewe­gendes Inter­view ist Manuel Brug mit Riccardo Muti gelungen – bei der WELT noch hinter der Paywall, ist es nun in ganzer Länge beim Profil zu lesen. Thema: der anste­hende 80. Geburtstag, seine Lieb­lings­or­chester in Chicago und Wien und seine Gedanken über den Tod: „Ich hoffe, ich komme ins Fege­feuer.“ +++ Die Fest­spiele können sich nicht mehr finan­zieren – 2020 wird das letzte Jahr sein und damit das Ende des Versu­ches, Paroli zu bieten. +++ Span­nend ein Artikel in der New York Times: Hier fordert Anthony Tomma­sini auf, nicht nur Opern toter Kompo­nisten zu singen. Puccini würde sich wundern, schreibt Tomma­sini, dass die Netrebko keine Gegen­warts­musik singt. +++ Die ameri­ka­ni­sche Sopra­nistin wird am 19. Januar an der Wiener Staats­oper als Kammer­sän­gerin ausge­zeichnet. +++ Der Opern­sänger Dirk Drie­sang ist seit jeher weniger durch seine Stimme, als eher durch seine poli­ti­sche Meinung aufge­fallen – nun hat das ehema­lige AfD-Vorstands­mit­glied die Partei verlassen: aus Protest gegen die „Flügel­hö­rig­keit“. +++ Im letzten Jahr war die junge Kompo­nistin Alma Deut­scher öfter Thema dieses Blogs – oder besser: ihr Vater. Nun wurde bekannt, dass das Salz­burger Landes­theater eine Oper bei ihr in Auftrag gegeben hat. Tja.

HOLENDER FÜR DOMINGO

Im CRESCENDO spricht sich der ehema­lige Wiener Staats­opern-Inten­dant Ioan Holender gegen den aktu­ellen Umgang mit beson­ders in den aus – Verträge müssen einge­halten werden, findet er: „Der Bariton gewor­dene alte Tenor wurde welt­weit „verboten“. Er sagt zu seiner Vertei­di­gung, dass in seiner gloriosen Zeit „andere Stan­dards gegolten haben“ und so manches als normal erachtet worden sei, was heute für Aufre­gung sorge. Er verstehe die heutige Welt nicht mehr. Die unauf­ge­regte Norma­lität sagt klar und unmiss­ver­ständ­lich, dass abge­schlos­sene und unter­schrie­bene Thea­ter­ver­träge sowohl vom Arbeit­geber, als auch vom Arbeit­nehmer zu respek­tieren seien.“ Den ganzen Artikel lesen Sie hier.

ABSCHIED ZWISCHEN DEN JAHREN 

Zwischen den Jahren gegangen: Tenor-Legende

Er war eine Legende und: als Mensch und Stimme unver­gleich­lich. Der Dresdner Kammer­sänger Peter Schreier ist nach langer Krank­heit gestorben. Ich erin­nere mich noch, wie wir gemeinsam auf dem Thea­ter­platz in Dresden den Geburtstag von gefeiert haben. Schon da war zu spüren: Peter Schreier war mehr als ein Welt­star, er wurde von seiner Heimat­stadt verehrt und geliebt. „Ich lebe von der Erin­ne­rung, aber nicht mit Wehmut, eher viel­leicht mit etwas Stolz“ , hatte Schreier kurz vor seinem 80. Geburtstag 2015 gesagt. Eben­falls zwischen den Jahren verstorben, ist der Regis­seur – ihm verdanken viele, so wie ich wahr­schein­lich, prägende Opern­abende, in denen die große Kunst so unend­lich mensch­lich wurde. Joachim Lange ruft ihm in der TAZ mit ostdeut­schem Blick nach. Inter­na­tio­nalen Ruhm erlangte Kupfer 1978 mit der Insze­nie­rung des „Flie­genden Hollän­ders“ bei den Bayreu­ther Fest­spielen. 1988 schuf er dort einen „Ring des Nibe­lungen“, gemeinsam mit dem Diri­genten . Eben­falls mit Baren­boim gestal­tete er ab 1992 an der Berliner Staats­oper sämt­liche Werke Richard Wagners. Seine letzte Insze­nie­rung führte ihn 2019 mit Georg Fried­rich Händels „Poros“ zurück an die . Ein Kreis, der sich geschlossen hat.

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif. Und, bitte, liebe Klassik-Omas: hören Sie endlich auf, im Hühner­stall Motorrad zu fahren!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Catherine Ashmore