Die Internationalen Schostakowitsch Tage in Gohrisch feiern von 20. bis 23. Juni 2019 ihr zehnjähriges Bestehen.
Ein Symbol der Wahrheit
von Ruth Renée Reif
9. Juni 2019
„Ich schrieb ein Quartett, das für niemanden einen Nutzen hat und ein ideeller Fehlschlag ist“, teilte Dmitri Schostakowitsch 1960 aus Gohrisch seinem Komponistenfreund Isaak Glikman mit. Dieses Achte Quartett, dem Schostakowitsch sich in dem idyllischen Kurort zuwandte, ist sein persönlichstes Werk und das einzige, das er außerhalb der Sowjetunion komponierte. Die unvermutete Ruhe des landschaftlichen Paradieses der Sächsischen Schweiz, in der er „schöpferische Arbeitsbedingungen“ fand, regte ihn an, den Blick zurück auf sein Leben zu richten und die Schrecken der Stalinzeit kompositorisch aufzuarbeiten. Beginnend mit seinem musikalischen Monogramm D‑Es-C‑H, schuf er ein Werk voller biografischer Bezüge und Zitate, und verfasste damit ein musikalisches Epitaph auf sich selbst. „Dem Komponisten dieses Werks zum Gedächtnis, so könnte man auf das Deckblatt schreiben“, schlug er denn auch vor.
50 Jahre später kam das Werk einzigartiger Ausdruckskraft bei den ersten Schostakowitsch Tagen genau an jenem Ort zur Aufführung, an dem es entstand. Zehn Jahre später erklingt es erneut, wenn das Festival sein Jubiläum feiert. Das Quatuor Danel, in dessen Repertoire russische Komponisten einen herausragenden Platz einnehmen, spielt es im Eröffnungskonzert mit Werken der beiden anderen großen russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts Igor Strawinsky, den Schostakowitsch hymnisch lobte, und Sergei Prokofjew, den er mit kritischer Ironie betrachtete. 2010 riefen der damalige Dramaturg der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Tobias Niederschlag, und begeisterte Mitstreiter aus Gohrisch und Dresden in einem landwirtschaftlichen Bergeraum, vor dessen Toren aufgeschichtete Heuballen ein Freiluft-Vestibül bildeten, das Festival ins Leben. Und schon nach der ersten Ausgabe, bei der Schostakowitschs Freund, Biograf und Komponistenkollege Krzysztof Meyer einen bewegenden Vortrag hielt, stand der Entschluss fest, dass es weitergehen müsse. Schostakowitsch verkörpert das Gewissen der Generation, die in der Hölle des Stalinismus lebte. In Zeiten, in denen die Menschenwürde mit Füßen getreten wurde und die Kriegstragödie Russland überflutete, stellten seine Werke ein Symbol der Wahrheit dar. Das Drama des schöpferischen Genies im Zeitalter des Totalitarismus nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und die grandiose Musik, die darin wurzelt, zu feiern, ist das Verdienst dieses in Deutschland einmaligen Festivals.
„Das Großartige ist“, erklärt Niederschlag, „dass die Musik von Schostakowitsch für uns ein Kompass geworden ist, um auch andere Werke und Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts zu ordnen und zu hören.“ So gelangen in einem Kammerkonzert zwei kürzlich aufgetauchte Lieder ohne Worte für Violine und Klavier des polnischen Schostakowitsch-Freundes Mieczysław Weinberg zur Uraufführung, dessen durch die jüdische Folklore inspirierte Musik erst seit wenigen Jahren entdeckt wird. Und in der Kammermatinee gibt es das „Grand Duet“ für Cello und Klavier von Galina Ustwolskaja, der Schülerin und rätselhaften Geliebten Schostakowitschs. Weltweite Anerkennung prophezeite er ihrer Musik, die sie allerdings erst nach dem Tod ihrer Schöpferin fand. Auch an die Kinder ist gedacht. Die Schauspielerin Isabel Karajan erarbeitet mit der aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden bestehenden Kapelle 21 und dem Raschèr Saxophone Quartet, das in diesem Jahr sein 50. Jubiläum feiert, einen Aufführungsabend mit Prokofjews Sinfonischem Märchen „Peter und der Wolf“. Der Internationale Schostakowitsch Preis Gohrisch geht im Jubiläumsjahr an den lettischen Dirigenten Andris Nelsons, der ein ambitioniertes Einspielungsprojekt aller 15 Schostakowitsch-Sinfonien in Angriff genommen hat.