KlassikWoche 11/2023

Wozu das ganze Theater?

von Axel Brüggemann

13. März 2023

Lotte de Beer und Stefan Herheim über die Zukunft des Musiktheaters, das Gerücht um die Einstellung der Sendung KlickKlack, das drohende Ende des RSO Wien und der BBC Singers.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einer Grund­satz­frage, mit einem Gerichts­ver­fahren in der Schweiz, einer Provo­ka­tion und aller­hand Perso­na­lien.

Wozu das ganze Theater?

Lotte de Beer und Stefan Herheim

Manchmal ist es sinn­voll, einfach mal grund­sätz­lich zu werden. Warum machen wir eigent­lich das ganze Theater? Das habe ich die Regis­seure und Inten­danten und gefragt. Beide stehen für Aufbruch. Lotte de Beer posi­tio­niert die Volks­oper in Wien neu: mehr Gegen­wart auf der Bühne, mehr Diver­sität und neue musi­ka­li­sche Zugänge. Stefan Herheim leitet das Musik­theater an der Wien und kann sich im Stag­gione-Prinzip intensiv um die Zusam­men­set­zung der passenden Ensem­bles für die jewei­ligen Produk­tionen kümmern. In meinem Podcast Alles klar, Klassik? sagt Herheim, dass er in seiner Arbeit als Regis­seur viel zu oft gemerkt habe, dass Theater in ihrer künst­le­ri­schen Arbeit von den eigenen Struk­turen bestimmt werden: Eine Carmen kommt auf den Spiel­plan, weil es schon lange keine mehr gab, ein Otello, weil der Tenor mal wieder eine große Rolle braucht. Herheim plädiert dafür, die Idee wieder in den Vorder­grund zu stellen und die Struk­turen der Häuser nach der Kunst zu orga­ni­sieren.

Für Lotte de Beer ist Oper ein Spiegel unserer Zeit, eine „emotio­nale Selbst­ver­ständ­lich­keit“. Sie hält nichts davon, ihre Kritiker zu belehren und ihren Kurs mit Worten zu vertei­digen – sie setzt auf den sinn­li­chen Effekt der Oper. Welche Rolle spielt die Kunst, wenn Politik und Gesell­schaft dem Theater die Insze­nie­rung geklaut haben? Welche Perspek­tiven hat das Musik­theater? Und warum werden Menschen die Bühne immer brau­chen, um im Spiel die Welt zu begreifen. Wenn Sie Lust haben, hören Sie doch mal rein (hier für Apple, bei Spotify oder für alle anderen Player). 

Putins Milli­arden-Cellist

Altes Bild mit Wladimir Putin

Vor vielen Monaten habe ich in diesem News­letter öfters über den Cellisten Sergei Roldugin berichtet. Er war unter Inten­dant (heute Inten­dant in Sotschi) beim Bruck­ner­haus in Linz für die „Russi­schen Diens­tage“ verant­wort­lich, trat mit im besetzten Palmyra auf und gilt als guter Freund von (zu dessen Ehren er beim Semper­Opern­ball 2009 in Dresden spielte). Im Zuge der Panama Papers wurden zwei Milli­arden Dollar auf Firmen von Roldugin nach­ge­wiesen. Roldugin ist einer von vielen Personen, an denen zu verstehen ist, wie wichtig die Kultur in Putins Finanz- und Propa­ganda-Kalkül ist.

Jetzt stehen in der Schweiz Bänker vor Gericht, denen vorge­worfen wird, dass sie nicht sorg­fältig genug geprüft hätten, ob der Cellist für Konten beim Schweizer Ableger der Gazprom­bank berech­tigt gewesen sei. Die Neue Zürcher Zeitung berichtet über den Prozess. Roldugin soll 2014, als es nach der Anne­xion der Krim zu Sank­tionen im Umfeld Putins gekommen sei, als Stroh­mann des russi­schen Präsi­denten aufge­treten sein. Egal, wie der Prozess in der Schweiz ausgeht: Er lehrt uns schon jetzt, dass der Einfluss des Kremls auf die Kultur nicht zu unter­schätzen ist und dass Putins Netz­werke seit jeher Banken, Unter­nehmen und Künst­le­rinnen und Künstler mitein­ander verbunden haben. Die Geschichte Roldugins, der – mit seiner ersten Frau – Tauf­pate bei Putins Kindern war (Foto), hat noch viele andere Aspekte, die sicher bald an anderer Stelle erzählt werden. 

Ende für KlickK­lack?

Es geht das Gerücht um, dass der Baye­ri­sche Rund­funk über­legt, seine Sendung KlickK­lack einzu­stellen. Es wäre das letzte Klassik-Format im Deut­schen Fern­sehen. Angeb­lich soll die Sendung, die abwech­selnd von und mode­riert wird, mit der Pensio­nie­rung ihres Redak­teurs nicht fort­ge­setzt werden.

Auf Nach­frage habe ich aller­dings keine Antwort bekommen. Dieses nur als Gedanke: Radio-Orchester müssen sich nicht wundern, wenn sie immer wieder zur Dispo­si­tion gestellt werden, wenn es das Fern­sehen nicht schafft, der Klassik Räume zu geben.

Ach, Niko­laus!

Die Salz­burger Oster­fest­spiele stehen an. Unser kleiner News­letter hatte damals, als es um den Macht­kampf zwischen und ging, eindeutig Posi­tion bezogen – für den ehema­ligen Inten­danten der Baye­ri­schen Staats­oper. Und, klar, dass vom Münchner Merkur die Gele­gen­heit nicht liegen ließ, ein paar Bonmots von ihm im Vorfeld der Fest­spiele einzu­sam­meln. Bachler liefert wie bestellt, spinnt die Mär von „Gesin­nungs­prü­fungen“ in der Kultur fort, um sich selber zum „Märtyrer“ zu stili­sieren, der angeb­lich nicht statt­fin­dende Debatten führen will. Mein Vorschlag: Abon­nieren Sie diesen News­letter, Herr Bachler, und die Debatte kommt jede Woche zu Ihnen nach Hause – kostenlos!

Ach, ja: Und am Ende geht es auch noch gegen das Gendern. Gähn! Klar, kann man auch noch mal debat­tieren wie ein Leser­brief­schreiber diese Woche, der mein Gendern an dieser Stelle als „Besser­wis­se­rerei aus den Stützen das kapi­ta­lis­ti­schen Hoch-Kultur­be­triebes“ inter­pre­tierte. Wir können in unseren Alters­heimen noch lange gegen das Gendern wettern: Früher oder später wird es so normal werden, wie es das für den Duden bereits ist, denn die Welt dreht weiter – und es ist ziem­lich anstren­gend, einfach stehen­zu­bleiben.

Klassik-Radio-Kürzungen: BBC und ORF

BBC Singers

Wir hatten es in den letzten Wochen immer wieder mit der Kürzungs­de­batte beim ORF zu tun: 300 Millionen Euro müssen einge­spart werden, noch immer ist offen, ob das legen­däre ORF Radio-Sympho­nie­or­chester Wien von geop­fert wird. Am 23. März soll dazu entschieden werden. Mindes­tens ebenso drama­tisch sind die Spar­maß­nahmen bei der BBC, hier müssen 20 Prozent des Etats einge­spart werden. Zum Opfer werden dem Kurs wohl die BBC Singers fallen, der einzige Radio­chor des Landes mit 20 festen Stellen.

Simon Webb von der BBC begründet den Schritt so: „Wir wollen unser Publikum an verschie­denen Orten errei­chen, auch dort, wo wir noch nicht sind.“ Deshalb wolle man flexible Ensem­bles schaffen und mit mehr regio­nalen Künst­le­rinnen und Musi­kern in ganz Groß­bri­tan­nien zusam­men­ar­beiten. „Wir wollen die Einspa­rungen möglichst kreativ gestalten“, so Webb. Aber am Anfang stünde die Tatsache, dass man schlicht nicht mehr das Geld habe, um weiter­zu­ma­chen wie bisher. Der Guar­dian spricht von einem Akt des kultu­rellen Vanda­lismus.

Frank­furter Milli­arden

Theater kosten Geld – immer! Gerade hat die DPA die Kosten für Sanie­rungen allein in Hessen vorge­rechnet. Für die Staats­theater in Kassel, Wies­baden und Darm­stadt seien allein vom Land bis 2024 insge­samt 78 Millionen Euro im Haus­halt für Moder­ni­sie­rungen vorge­sehen. Beson­ders kost­spielig wird die Situa­tion in Frank­furt: Oper und Schau­spiel sollen in der Innen­stadt neu gebaut werden. Eine Exper­ten­kom­mis­sion schätzt die Kosten auf 1,27 Milli­arden Euro.

Perso­na­lien der Woche

Daniel Harding

Wir haben es an dieser Stelle bereits vor einigen Wochen geschrieben, nun ist es offi­ziell: wird 2024 das Orchester Santa Cecilia in Rom über­nehmen. Er hat einen Fünf­jah­res­ver­trag als Nach­folger von unter­schrieben. +++ An der Privat­uni­ver­sität in Linz wird ein Niko­laus Harnon­court Zentrum gegründet. Es über­nimmt den künst­le­ri­schen Nach­lass des 2016 gestor­benen Diri­genten und Cellisten, der auch sein Leben und Werk doku­men­tiert. Es handelt sich um audio­vi­su­elle Medien, rund 50 Regal­meter Noten­ma­te­rial sowie knapp zwei Kubik­meter Korre­spon­denzen, Essays, Notizen zu Werken und zur Auffüh­rungs­praxis, Vortrags­ma­nu­skripte sowie Mate­rial zu seiner jahre­langen univer­si­tären Lehre.

Thomas Tren­kler berichtet in der öster­rei­chi­schen Zeitung Kurier, dass es im Direk­to­rium der Salz­burger Fest­spiele noch immer rumort – auch nach dem Macht­wort von Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer gibt es keine Ruhe zwischen der entmach­teten Fest­spiel-Präsi­dentin Hammer und Inten­dant – viel­leicht sollten sie sich mal gemüt­lich im Café Bazar ausspre­chen. +++ Sopran-Battle in der New York Times. Die Zeitung berichtet über zwei Premieren an der Met und stellt fest: Während der Atem für die langen Norma-Bögen fehlt, besticht Angel Blue als warm timbrierte Violetta in La Traviata. +++ hat seinen Vertrag als Künst­le­ri­scher Leiter des Rossini-Festi­vals in Pesaro bis 2026 verlän­gert. 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Heute ist es ein Bild, das der Pianist gepostet hat, es zeigt ihn mit und Martha Arge­rich: Drei Piano-Legenden treffen sich in Wien.

Daniel Barenboim, Rudolf Buchbinder und Martha Argerich im Café des Hotels Imperial

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Andreas Jakwerth und Lukas Gansterer, BBC Singers Sofi Jeannin, Semperoper