KlassikWoche 12/2023

Heiße Sopran-Luft und Publi­kums-Frust

von Axel Brüggemann

20. März 2023

Der Publikums-Eklat bei Axel Ranischs Puccini-Inszenierung an der Staatsoper Hamburg, die Aufregung über Anna Netrebko, die prekären Kritiker-Gehälter.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit aller­hand heißer Sopran-Luft, einem wütenden Publikum und mit Kriti­ke­rInnen, die Wagners Götter­däm­me­rung singen. 

Tumulte in Hamburg

Beginnen wir mit einigen Zwischen­rufen. Die gab es – angeb­lich von wütenden Senioren. Während der Première von Puccinis Il trit­tico in der Regie von  ist es zu einem Publi­kums-Eklat gekommen. „Aufhören!“, „Wir sind in der Oper!“ oder „Das ist ja wie eine Gene­ral­probe!“, wurde aus dem Audi­to­rium geschrien, die Vorstel­lung immer wieder unter­bro­chen. Der Beweis, dass Oper noch immer Debatten auslösen kann, oder einfach nur schlechtes Benehmen?

Abend­gage gegen Kritiker-Honorar

Zwei verschie­dene Meldungen wirken diese Woche, zusammen betrachtet, beson­ders über­ra­schend. Zunächst einmal hat die Sängerin per Twitter auf Kritiker reagiert: Ihre Kinder würden belei­digt, schrieb sie, nachdem sie sich in einem vorhe­rigen Tweet bereits über den Verriss ihrer Norma des Chef­kri­ti­kers der New York Times beschwert hatte. Ich finde, Frau Yoncheva hat alles Recht, Kritiker zu kriti­sieren. Ich weiß nicht, wie viele 1000 Euro Abend­gage sie bekommt – kann mir aber vorstellen, dass sie sich eigent­lich locker zurück­lehnen könnte. Denn Kriti­ke­rInnen verdienen (auf jeden Fall in Deutsch­land) eher prekär. Das machte ein anderer Tweet diese Woche deut­lich.

Die Tages­spiegel-Autorin Laura Ewert veröf­fent­lichte die Abrech­nung für einen Aufma­cher in der Kultur, inklu­sive Recherche, Inter­view, Ausstel­lungs­be­such und Schreiben: 90 Euro! Und: Ewert fordert Kolle­gInnen auf, es ihr nach­zutun, die prekären Kritiker-Gehälter offen­zu­legen. Finde ich gut: Ich würde das gern nächste Woche weiter im Auge haben. Liebe Kolle­ginnen und Kollegen. Warum schaffen wir nicht einen Hashtag #kultur­kri­tik­kohle? Wie die Geschichte bei mir, zunächst in der aktu­ellen Ausgabe unseres Podcasts Alles klar, Klassik?, dann bei Twitter und auf Insta­gram weiter­ging, lesen Sie unten bei der posi­tiven Geschichte… 🙂 

Die neue Netreb­ko­nitis

Anna Netrebko

Ich verstehe die Aufre­gung über nicht. Ja, Salz­burgs Oster-Inten­dant hat bekannt­ge­geben, dass sie nächstes Jahr neben als La Gioconda zu sehen ist. Provo­ka­tion oder White­washing (alle Punkte, die Netrebko mit dem System Putin in Verbin­dung bringen, sind bekannt und hier nach­zu­lesen). Abge­sehen von aller Politik, sorge ich mich eher um die Qualität der Oster­fest­spiele! 490 Euro für Anna Netrebko in einer Ponchielli-Oper? Really? Hat Bachler even­tuell Ambi­tionen, bald die Arena di Verona zu leiten? Sein Salz­burger Luxus-Festival wird derzeit eher zum Opern-Poker: Wird Jonas Kauf­mann auch alle Auffüh­rungen singen? Wird Netrebko wirk­lich kommen? Für mich ist Netrebko in erster Linie oppor­tu­nis­tisch. Aber an ihr zeigt sich eben auch die Haltung der Opern-Manager: Niko­laus Bachler, Kai Uwe Laufen­berg oder sind aus unter­schied­li­chen Gründen ihre Förderer und wollen mit ihrem Karriere-Herbst noch mal Kasse machen.

In New York lädt sie derzeit nicht ein, dafür hat er offen­sicht­lich 200.000 Dollar Ausfall­zah­lungen über­wiesen. Auch Netrebkos Mann, wurde in den USA offen­sicht­lich ausge­laden. Und auch die Kolle­gen­schaft spaltet Netrebko, während einige gern weiter neben ihr abkas­sieren, zeigen andere Haltung. Der polni­sche Tenor ist so ein Sänger mit Kompass. Er erklärte der New York Times, dass er Netrebko immer geschätzt habe, „aber sie hat Fehler gemacht“ – damit meint Beczała ihre Haltung gegen­über der russi­schen Inva­sion. Ich finde, man muss Netrebko nicht boykot­tieren – aber ich hätte persön­lich auch nur wenig Lust, sie zu hören. Aber sicher ist, die Testo­steron-Provo­ka­tionen mit ihr werden weiter­gehen. Eigent­lich tragisch. 

Und was ist mit Curr­entzis?

Im Gegen­satz zu Anna Netrebko ist noch immer im Auftrag russi­scher Firmen unter­wegs und für mich deshalb ein viel eindeu­ti­gerer Fall von Russ­land-Nähe. Eine Erkenntnis, die sich derzeit offen­sicht­lich durch­setzt. Auf jeden Fall kommt der russisch-grie­chi­sche Diri­gent in der Saison­vor­schau seines ehema­ligen euro­päi­schen „Wohn­zim­mers“, des Konzert­hauses in Wien, dieses Mal gar nicht vor. Die Kölner Phil­har­monie hatte bereits vor einiger Zeit erklärt, Curr­entzis nicht mehr einzu­laden.

Das Hamburger Konzert mit Bachs h‑Moll-Messe und musi­cAe­terna am 6. April in der Laeiszhalle wurde eben­falls abge­sagt. Auch an der Elbe ist bislang kein weiteres Curr­entzis-Konzert online zu buchen. Ob das etwas damit zu tun hat, dass der Diri­gent gerade mal wieder mit seinem russi­schen Ensemble (mit einem Vorstand engster Putin-Vasallen) durch Putins Land getin­gelt ist (natür­lich weiter unter­stützt von VTB und dieses Mal in Kras­no­jarsk auch von Rosatom, einer Firma im russi­schen Waffen­ge­schäft)? Oder damit, dass Curr­entzis als Chef von musi­cAe­terna sich noch immer nicht für die Ausfälle seiner Musi­ke­rInnen beim Deut­sch­­land-Gast­­spiel (Kriegs­lieder für Putin etc.) entschul­digt hat? Oder daran, dass er laut Zeit-Recherche bei Russ­land-Gast­spielen aller­hand Privi­le­gien (wie eine Luxus-Limou­sine) in Anspruch nimmt, aber sich trotz Kriegs-Eska­la­tionen nicht zu einer Verur­tei­lung des Krieges durch­ringen kann? Viel­leicht wird bei den Saison-Pres­se­kon­fe­renzen ja klar, ob Curr­entzis für Europas Inten­danten über­haupt noch zugängig ist. Erstaun­lich ist, dass ausge­rechnet der SWR noch am Diri­genten fest­hält.

Perso­na­lien der Woche

Hui – gesund­heit­liche Gründe halten davon ab, die -Tage in Dresden zu diri­gieren. Eine weitere Klat­sche für sein Orchester, die Staats­ka­pelle in Dresden. Einspringen werden , David Afkham und Tugan Sokhiev. +++ Groß denkt seine Flug­hafen-Oper im Hangar 5 von Tempelhof. Hans Werner Henzes Orato­rium Das Floß der Medusa soll ab 16. September jeweils 1600 Besu­cher locken. Der Hangar ist 6000 Quadrat­meter groß. Auf der offenbar unter Wasser stehenden Bühne, die zwischen den beiden Besu­cher­tri­bünen ange­legt ist, sollen mehr als 150 Darsteller auftreten. +++ Die Süddeut­sche Zeitung meldet: Der kommis­sa­ri­sche Chor­di­rektor Stel­lario Fagone der Baye­ri­schen Staats­oper sei nicht mehr am Haus tätig. Spre­cher Michael Wuerges bestä­tigt die frist­lose Kündi­gung des Italie­ners, will sich aber nicht näher zu den Gründen äußern. Gerüchte, dass sich die Inten­danz von Fagone trennen wolle, hat es schon seit geraumer Zeit gegeben. Zuletzt hieß es, er werde bei keiner Neupro­duk­tion mehr den Chor leiten, sondern nur noch bei Reper­toire-Vorstel­lungen einge­setzt.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht hier! Es ist groß­artig, was in sozialen Medien spontan entstehen kann. Die Zeit­schrift Opern­welt hatte unseren Podcast Alles klar, Klassik? mit dem Verweis auf die Einkom­mens-Diffe­renz zwischen Star-Sopran Sonya Yoncheva und Kultur­kri­ti­kerin Laura Ewert auf ihrer Twitter-Seite beworben. Jemand kommen­tierte, das sei kein Wunder, da Singen eine außer­ge­wöhn­liche Bega­bung sei, während Kritiken ja jeder schreiben könne. Wirk­lich? Ich wollte es wissen: Wie würde man eine Oper mit Kriti­ke­rInnen besetzen? Auf meinem Insta­gram-Profil habe ich eine Umfrage gestartet, am Beispiel der Götter­däm­me­rung. Auf Grund heldi­scher Eigen­wer­bung hat sich Opern­welt-Mann als Sieg­fried durch­ge­setzt (mit 39 Prozent knapp vor Egbert Tholl mit 29 Prozent). Als Brünn­hilde schien es nur eine Wahl zu gegeben: 64 Prozent stimmten für Alt-Kriti­kerin , abge­schlagen auf den Plätzen Hannah Schmidt (neun Prozent), (18 Prozent) und Julia Spinola (neun Prozent). Als Hagen setzte sich Welt-Mann Manuel Brug mit 59 Prozent durch. Den ehren­haf­testen Titel der weis­sa­genden ersten Norn bekam vom Münchner Merkur mit 50 Prozent vor Manuel Brug, Wiebke Hüster und Hannah Schmidt. Das Ergebnis müssen wir noch bei einrei­chen, bevor es zum voll­kom­menen Welt­un­ter­gang auf offener Bühne kommt.

So, und hier noch der Anlass der Gaudi, unser Podcast:

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de 

Fotos: Barbara Grindl / Salzburger Festspiele