KlassikWoche 14/2023

Kriegen wir wirk­lich nicht genug?

von Axel Brüggemann

3. April 2023

Die Saison 2023/2024 der Berliner Staatsoper, die Bedeutung des Klassik-Streaming-Diensts von Apple für die Klassik-Welt, das Ende der BR-Klassik-Sendung KlickKlack.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einem kriti­schen Blick auf Apples Strea­ming-Dienst, empfind­li­chen Strafen in Zürich – und einem Künstler, von dem wir alle nicht genug bekommen können, oder?

Berliner Staats­opern-Poker

Elisabeth Sobotka

Inten­dant Matthias Schulz hat die nächste Saison der Berliner Staats­opern vorge­stellt. Erstaun­lich: wird kein Opern-Dirigat in Berlin über­nehmen, aber im November einen Zyklus mit den Brahms-Sinfo­nien diri­gieren – in den USA. Alle Augen wenden sich eh auf die desi­gnierte Inten­dantin, . Wie viel Mitsprache hat sie bei der Wahl eines Nach­fol­gers oder einer Nach­fol­gerin von Baren­boim? Die Ergeb­nisse der Berlin-Wahl spielen sicher­lich Chris­tian Thie­le­mann in die Hand.

In der kommenden Saison werden aber auch , , Marie Jacquot oder zu Gast sein. Ach ja, kehrt auch zurück an die Staats­oper – in Verdis Macbeth. Auf Twitter argu­men­tierte die Staats­oper gegen­über Kriti­kern: „Anna Netrebko hat, soweit es ihr möglich ist, Flagge gezeigt, und ihr Handeln war im letzten Jahr konse­quent.“ Der Flaggen-Vergleich ist viel­leicht ein wenig miss­glückt, da man Netrebko haupt­säch­lich mit der Sepa­ra­tisten-Fahne im Donbas vor Augen hat. Aber, hey: Es sei ihr gegönnt.

Die Welt nach Apples Klassik-Service

Apple hat mich nach London einge­laden, und ich war zunächst mal beein­druckt: Es gibt nicht ein Logo in der neuen Firmen­zen­trale im Londoner Battersea-Kraft­werk (bekannt durch Pink Floyds „Animals“-Cover). Hier sollen sich alle wie zu Hause fühlen: Gläserne Bespre­chungs-Balkone, Holz­wände, eine perfekte Wohn­zimmer-Illu­sion am Arbeits­platz. Und so funk­tio­niert auch der neue Klassik-Strea­ming-Dienst von Apple, Apple Music Clas­sical. Alles fühlt sich nach Mensch an, selbst tote Kompo­nisten werden (etwas altba­cken) zu leben­digen Bildern erweckt. Und klar, der Sound ist perfekt – zum Teil in hoch aufge­löstem 3D-Klang! Aber in Wahr­heit ist hier natür­lich eben­falls jeder Pixel perfekt kalku­liert. An der Ober­fläche sieht alles aus wie eine Kopie von IDAGIO, und Apples neues Klassik-Wohn­zimmer könnte schnell zum Sarg für diesen Klassik-Strea­ming-Pionier werden. Außerdem zeigt Apple Music Clas­sical, dass es in Zukunft auch eng für die Labels werden könnte. Berliner Phil­har­mo­niker oder Cleve­land Orchestra produ­zieren schon lange selbst. Die Wiener Phil­har­mo­niker sind (neben den Berli­nern und dem Concert­ge­bou­wor­kest) mit ihren Abo-Konzerten nun eben­falls exklusiv bei Apple, auf dem Apple-Label Platoon. Strea­ming-Diensten ist es (anders als Labels) egal, was gestreamt wird, sie wollen nur, dass bei ihnen gestreamt wird. Umso erstaun­li­cher, dass die Deut­sche Gram­mo­phon den neuen Apple-Service aktiv promotet (obwohl man sich gerade selber an einer Strea­ming-Platt­form versucht hat).

Ach ja, Fragen werden am Londoner Wohn­zim­mer­tisch von Apple übri­gens freund­lich wegge­wischt: Ob der neue Service – so wie Apple Music und Spotify – jeden Track einmalig nach 31 Sekunden Spiel­zeit abrechnet (egal, wie lang er ist), oder so wie IDAGIO fair für Klassik-Künst­le­rInnen mit jeder gestreamten Sekunde? Wir können es nur erahnen. Wie sich der Klassik-Markt durch die neuen Klassik-Strea­ming-Dienste verän­dern wird, bespre­chen wir am Anfang der aktu­ellen Podcast-Ausgabe von Alles klar, Klassik? ausführ­lich. 

Perso­na­lien der Woche I

Andrés Orozco-Estrada wird neuer Gene­ral­mu­sik­di­rektor der Stadt Köln. Der 45-Jährige über­nimmt ab 2025 die musi­ka­li­sche Verant­wor­tung für das Gürze­nich-Orchester und die Oper Köln und folgt damit auf , der als Nach­folger von zum SWR Sympho­nie­or­chester wech­selt. Orozco-Estrada hatte letztes Jahr über­ra­schend die Wiener Sympho­niker verlassen.

Der Spanier Roberto González-Monjas wird neuer Chef­di­ri­gent des Mozar­te­u­mor­ches­ters Salz­burg. Er hat in Salz­burg Violine studiert und sich auf inter­na­tio­naler Bühne sowohl als Geiger als auch als Diri­gent einen Namen gemacht. +++ Nach­folger von Stephen Maddock wird als Geschäfts­füh­rerin des City of Birmingham Symphony Orchestra Emma Sten­ning. +++ Er sei eben ein schwules, jüdi­sches Känguru, das Opern insze­niere, schreibt in seiner Auto­bio­grafie, die in Wirk­lich­keit eher eine Erklä­rung seiner Opern­kon­zepte ist, findet Markus Thiel.

Klassik-Stra­tegie des BR

Igor Levit

Wir hatten an dieser Stelle exklusiv über das Ende der Klassik-Sendung KlickK­lack von und Martin Grubinger beim BR berichtet – der letzten ARD-Fern­seh­sen­dung zum Thema klas­si­sche Musik. Nun begründet der Sender die Entschei­dung mit einer Auswei­tung des digi­talen Ange­bots und verweist auf den Podcast mit Pianist und auf das Inter­view mit Igor Levit in nacht­linie. Ey, BR, Eure private Liebe zu Igor Levit wird langsam ein wenig pein­lich, zumal da ja nichts Neues kommt außer: „Ich bin gegen Rassismus, Anti­se­mi­tismus und für den Erhalt der Natur!“ Das! Sind! Wir! Alle! Neulich habt Ihr auf Euren Social-Media-Kanälen sogar gepostet „Wir können nicht genug von Igor Levit bekommen – Ihr auch nicht?“ Eine der vielen kriti­schen Antworten lautete sinn­gemäß: Finde eine Liebe, die so groß ist wie jene des Öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks zu Igor Levit – unmög­lich! 

Strafen für Banker von „Putins Cellisten“

In Zürich wurden drei russi­sche und ein Schweizer Banker auf Grund mangelnder Sorg­falt verur­teilt. Ihnen wurde vorge­worfen, nicht ausrei­chend geprüft zu haben, woher das Geld kam, das Putins Freund, der Cellist Sergei Roldugin, 2014 beim Schweizer Ableger der Gazprom-Bank einzahlte. Roldugin ist einer der Strip­pen­zieher in Putins-Kultur­netz­werk, eben­falls befreundet mit , der einst den Semper­Opern­ball ausrich­tete und heute Inten­dant im russi­schen Sotschi ist. Roldugin orga­ni­sierte Konzert­pro­gramme im Bruck­ner­haus Linz, als Frey dort Inten­dant war (und tat das, wie Frey-Nach­folger erklärte, auch noch nach der Ära Frey auf Bitten des öster­rei­chi­schen Bundes­kanz­ler­amts unter ). So richtig aufge­ar­beitet wurde der russi­sche Einfluss auf das Linzer Kultur­netz­werk bis heute nicht. Roldugin und seine Frau Irina Nikitina waren 1985 auch Tauf­paten von Putins Tochter Maria. Nikitina war nach der Schei­dung aktiv im Schweizer Kultur­leben, orga­ni­sierte unter anderen Diskus­sions-Veran­stal­tungen, an denen unter anderen Sergej Lawrow und Olaf Scholz teil­nahmen und lebt heute in dritter Ehe mit einem Fernseh-Manager in Russ­land. Außerdem orga­ni­siert sie Musik­wett­be­werbe, an denen namhafte euro­päi­sche Künst­le­rInnen teil­nehmen. Roldugin spielte außerdem eine erheb­liche Rolle bei den Panama-Papieren, wo Geld­ströme auf seinen Namen nach­ge­wiesen werden konnten.

Die Strafen für die Bank-Manager in der Schweiz betragen zwischen 120 Tages­sätzen à 400 Franken für einen Kunden­be­rater und 180 Tages­sätzen à 3000 Franken für den CEO der Bank. Die Beschul­digten legten Einspruch gegen das Urteil ein. Ach so: Auf meine Anfrage, wie der SWR sich posi­tio­niert, dass Teodor Curr­entzis nun auch in Wien uner­wünscht ist, gab es keine Antwort mehr von Inten­dantin Sabrina Haane – gegen­über Kritik taucht sie unter. Statt­dessen rollt sie aber ihren Abon­nenten nun „den roten Teppich“ aus und bietet Curr­entzis-Karten bei den Pfingst­fest­spielen in Baden-Baden mit 15 Prozent Rabatt an! Wie würden SWR-Jour­na­listen auf derar­tige Öffent­lich­keits­ar­beit ande­ren­orts reagieren?

Perso­na­lien der Woche II

Florenz« Ex-Inten­dant hat es gerade unge­müt­lich in Italien, nun soll Alex­ander Pereira nach Öster­reich schielen – Endsta­tion Erl? +++ Franz Xaver Kroetz ist aus der Baye­ri­schen Akademie der Schönen Künste ausge­treten. Der Drama­tiker und Schau­spieler ärgert sich über den Fest­redner zum 75-jährigen Bestehen der Akademie: Chris Dercon. +++ Nachdem sich die Sängerin auf Twitter über einen Kritiker der New York Times aufge­regt hatte, gab sie nun bekannt, dass all ihre Social-Media-Kanäle in Zukunft von ihrem Team gepflegt werden. Viel­leicht eine gute Entschei­dung, um sich auf die Musik zu konzen­trieren. +++ So richtig span­nend war Kent Naganos erster Versuch mit einem „histo­risch infor­mierten“ Wagner-Klang für mich nicht. Nun soll das Projekt bei den Dresdner Musik­fest­spielen weiter­gehen. Im Juni steht ein Konzert mit Rhein­gold auf dem Programm, dann folgen Jahr für Jahr die anderen Teile des Ringes. Musi­ziert wird auf histo­ri­schen Instru­menten und gesungen im Sprech­stil der Wagner-Zeit. Das Projekt unter Leitung von Inten­dant und Diri­gent Nagano soll Wagner-Experten und Inter­preten aus aller Welt in Dresden zusam­men­bringen. +++ Ach ja, der Tann­häuser bei den Salz­burger Oster­fest­spielen hat mich über­haupt nicht inter­es­siert: Mich nervt die Romeo-Castel­lucci-Ästhetik, es gab – Gähn! – als Tann­häuser und Andris Nelsons als Diri­genten. Das Aufko­chen einer alten Insze­nie­rung eines uralten Inten­danten. hat für viel Geld Recy­cling aufge­tischt. Zum Glück hat Markus Thiel vom Münchner Merkur eine YouTube-Kritik gepostet: Die Sänger seien bei Castel­lucci ledig­lich „klang­liche Sätti­gungs­bei­lage“, sagt er, ein „blasser“ Kauf­mann sang im „ECO-Gang“. Tja, ob das nächstes Jahr mit Anna Netrebko als La Gioconda besser wird? Ich glaube, ich setze noch mal aus…

Die Frau ohne Schatten der Berliner Phil­har­mo­niker mit in Baden-Baden war offen­sicht­lich die bessere Wahl.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht hier! Im MDR berichtet Stefan Petra­schewsky, dass das Publikum in Sachsen in die Theater zurück­kehrt! Petra­schewsky hat eine stich­pro­ben­ar­tige Tele­fon­re­cherche an zehn (Stadt-)Theatern in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen unter­nommen. Zwei Dinge fallen auf, berichtet er: erstens, dass das Publikum sich oft erst an der Abend­kasse und für ein bestimmtes Stück entscheidet; zwei­tens, dass Kitas und Schulen die Thea­ter­an­ge­bote stark nach­fragen. Tatsäch­lich scheint es an vielen Häusern einen kurz­zei­tigen Auslas­tungs-Anstieg gegeben zu haben, mein – eben­falls stich­ar­tiger Blick auf Saal­pläne – zeigt aber auch, dass der Aufwärts­trend leider noch sehr instabil ist.

Was sonst noch so passiert ist in der Klassik-Woche, das bespreche ich dieses Mal wieder im Podcast Alles klar, Klassik? mit Doro­thea Gregor. 

Ich wünsche Ihnen eine schöne Oster­woche, der News­letter setzt am Oster­montag aus. In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

P.S.: Ach so, dass ich als Berater der Salz­burger Fest­spiele beginne, wie auf Face­book am 1. April bekannt­ge­geben wurde, war natür­lich erstunken und erlogen, auch weil Markus Hinter­häuser nicht zur verspro­chenen Pres­se­kon­fe­renz im Café Bazar kommt. 

Fotos: Bregenzer Festspiele / Anja Köhler, Zero One Film