KlassikWoche 41/2023

Lein­wand-Klassik und Gold­berg-Abschied

von Axel Brüggemann

9. Oktober 2023

Bradley Cooper als Leonard Bernstein und Angelina Jolie als Maria Callas vor der Kamera, Abschied von dem Tenor Reiner Goldberg, Gedenkkonzert für den Pianisten und Dirigenten Lars Vogt in Hamburg.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mal mit einem Schnell­durch­lauf. Zwei Ikonen kommen ins Kino: und . Ich habe ein biss­chen nackte Haut und ein biss­chen Debatte für Sie vorbe­reitet – und ganz viel gute Laune. Leider auch einen trau­rigen Abschied.

Klappe für Callas und büffeln für Bern­stein 

Die Klassik wird gleich zwei Mal ins große Pop-Corn-Kino ziehen. Wir haben an dieser Stelle bereits berichtet: Noch im Dezember wird bei Netflix Leonard Bern­stein verkör­pern. Da war bereits die „Aneig­nungs-Debatte“ um seine (ange­klebte) Nase, die Bern­steins Erben mit dem wunder­baren Satz: „Leonard hatte eben eine große, schöne Nase“, parierten. Und, klar, man befürchtet Kritik der Klassik-Experte, die schon Cate Blan­chett in „Tár“ vorwarfen, nicht wirsch diri­gieren zu können (ich fand das eigent­lich ziem­lich gut geschnitten damals). Auch deshalb erschien in der New York Times nun wohl ein Text, der erklärt, wie Cooper zahl­reiche Konzerte besuchte und Diri­gier-Stunden bei großen Diri­genten nahm – unter anderem bei (siehe Foto, Netflix). Und Cooper bekam bereits Vorschuss-Lorbeeren: „Er hat alles mit einen wachen Auge beob­achtet“, sagte über die Konzerte des New York Phil­har­monic Orchestra, die Cooper besucht hatte, „er wollte in Bern­steins Seele vordringen.“ Cooper selber erklärte in der Late-Night-Show von Stephen Colbert: „Ich war besessen von der Idee, klas­si­sche Musik zu diri­gieren. Es gibt diese Dinge, die man nie macht und in die man trotzdem 10.000 Stunden inves­tiert. Bei mir war es das Diri­gieren.“ Nach all dieser Bericht­erstat­tung liegt der Takt­stock ziem­lich hoch, würde ich sagen.

Bradley Cooper

Und dann ist da noch Ange­lina Jolie: Sie will 2024 Maria Callas spielen – merk­wür­di­ger­weise ein Jahr nach dem 100. Jubi­läum der Sängerin. Regis­seur ist Pablo Larraín, der unter anderem auch Bio-Pics von Lady Di und Jacky Kennedy vorge­legt hat. Thema sind (natür­lich) auch hier die letzten Tage der Diva in Paris. Kennen wir das nicht ähnlich schon von Franco Zeffi­rellis intimer Abar­bei­tung am Mythos Callas in seinem Film Callas Forever mit Fanny Ardant und Jeremy Irons? Wie auch immer: Für alle, die es nicht abwarten können: Im Podcast Alles klar, Klassik? mit den beiden aktu­ellen Callas-Biografen Eva Gesine Baur und Arnold Jacob­shagen kommt man dem Mythos schon mal näher. 

Reiner Gold­berg 1939–2023

Schon wieder einer weg. Schon wieder so ein Großer. Schon wieder so ein: Mensch. Reiner Gold­berg war einer der wich­tigsten Sänger der DDR, begann seine Karriere in Rade­beul und sang in kürzester Zeit an allen großen Häusern der Welt: an der Staats­oper Berlin (wo er Ehren­mit­glied war), an der MET und – natür­lich – bei den Bayreu­ther Fest­spielen: Hier war er zwischen 1986 und 1994 als Tann­häuser, Sieg­fried, Walther von Stolzing und Erik zu hören. Gold­berg war ein leiden­schaft­li­cher Sänger, ein Herz­blut-Künstler und ein Mann der Lebens­lust. Zum letzten Mal habe ich ihn an seinem 82. Geburtstag getroffen – damals, um mit ihm (für eine noch unver­öf­fent­lichte Doku­men­ta­tion) über die Musik­kultur in der DDR zu spre­chen und über das Dresden in Zeiten des Mauer­falls. Mit strah­lenden Augen erzählte er seine Geschichten: Wie er und seine Studenten-Freunde in die zerbombte Semper­oper einge­stiegen sind und heim­lich in den „heiligen Hallen“ geschmet­tert haben, wie er bei seinen West-Enga­ge­ments Ersatz­teile für sein Auto rüber­ge­schmug­gelt hat, wie man sich in den Kantinen darüber lustig gemacht hat, dass die Stasi mithörte, wie er nur wenige Wochen nach dem Mauer­fall mit den Fidelio in der Lukas­kirche in Dresden aufnahm („man konnte der Jessye beim Singen durch den Mund bis in den Magen schauen!“) Am Ende stimmte der alte Mann den Flore­stan-Beginn an, Wort für Wort – glas­klar und erklärte beim Singen seine Gestal­tung. Plötz­lich war der 82-jährige Mann wieder 32. Reiner Gold­berg liebte es, Geschichten zu erzählen, auf der Bühne ebenso wie im Leben. Und: Er war ein groß­ar­tiger Stimm­lehrer, der vielen jungen Sänge­rinnen und Sängern mit gutem Rat zur Seite stand. Am 7. Oktober ist er in Berlin gestorben.

Staats­opern-Recht­fer­ti­gungs-Verkno­tungen 

Die Staats­opern-Aida in Berlin dürfte – glaubt man den Kritiken – auch musi­ka­lisch sehr viel Luft nach oben gehabt haben. Diri­gent Nicola Luisotti gelang es offenbar nicht, Calixto Bieitos Macht-Kuddel­muddel wenigs­tens klang­lich zu ordnen – und dass es als Radamès schwer haben würde, hätte im Vorfeld eigent­lich jeder ahnen können. Warum eigent­lich hat Inten­dant Matthias Schulz ihn über­haupt einge­laden (war es ein Freund­schafts­dienst an Eyvazov-Gattin ?). Diese Frage stellte Helmut Mauró dem Inten­danten im SZ-Inter­view nicht, statt­dessen ging es grund­sätz­li­cher zu: „Was muss eine Oper für die Gesell­schaft leisten?“ Schulz antwor­tete – mit Blick auf die Auftritte von Anna Netrebko in Berlin – unter anderem: „Eine Haltung und eine diffe­ren­zierte Ausein­an­der­set­zung – ohne Schwarz-Weiß-Denken – gehört dazu. Man will einfache Antworten, auch in der Kunst. Aber eine Oper, die einfache Antworten gibt, ist keine gute Oper. Da muss es eher darum gehen, die Ambi­va­lenzen und Wider­sprüche des Daseins heraus­zu­ar­beiten. Die muss man auch aushalten. Was Anna Netrebko betrifft: Dass man ihre State­ments nicht für glaub­würdig hält – so eine Haltung kann man einnehmen, man muss aber zulassen, dass es auch andere Posi­tionen gibt.“ 

Es ist allmäh­lich fast amüsant, wie sich jeder Inten­dant seine eigenen Künst­le­rInnen zurecht erklärt: Haben wir nicht vor kurzem gerade bei gehört, dass er einen Auftritt von für voll­kommen richtig hält, einen von Anna Netrebko in Salz­burg derzeit aber ausschließe, da – Achtung! – man bei ihr die „Sympa­thie zum System Putin“ sehe? Oder wie Hinter­häuser es sagte: „Ich weiß, dass es das gibt.“ Schräg, oder? Aber es wird noch schräger: Die Berliner Rund­funk­an­stalt rbb verzichtet schon seit einiger Zeit darauf, Aufnahmen mit sowohl Anna Netrebko als auch Teodor Curr­entzis zu spielen, während die Radio-Kolle­gInnen beim SWR (Sabrina Haane) uns mal wieder antworten, dass sie keine „grund­sätz­lich neue Qualität“ darin sehen, dass Curr­entzis gerade wieder Gelder direkt bei Putins Präsi­den­ten­fonds abkas­siert hat. Das verstehe, wer wolle!

Das Bikini-Gate, das keines ist

Ich habe zu meiner Schande noch nie von der Geigerin Esther Abrami gehört, bis ich die BILD gelesen habe. Da regt sich die fran­zö­si­sche Musi­kerin darüber auf, dass sich andere darüber aufregen, dass sie auf Insta­gram ein Foto im Bikini gepostet habe und über­haupt frei­zügig mit ihrem Körper und ihrer Musik umgehe. „Ich wurde ziem­lich heftig von meinen Mitschü­lern und meinen Lehrern auf dem Musik­in­ternat und danach auf dem College kriti­siert – wegen der Fotos und weil ich über­haupt auf den sozialen Netz­werken war“, sagt sie. „Sie meinten, dass ich damit die Klassik seicht und billig machen würde.“ Das Lustigste kommt aber erst: Denn jetzt regt Abrami sich auf ihrem Twitter-Account auch über die Bericht­erstat­tung der BILD auf, weil diese das Bild von ihr und dem Bikini gezeigt habe: „Würde ein Mann je eine Über­schrift dafür bekommen, dass er im Urlaub ein Bild in Bade­hose auf Insta­gram postet?“ … Ey, Esther Abrami, wo lebst Du eigent­lich? Natür­lich ist die Gleich­be­rech­ti­gung in diesem Fall schon längst ange­kommen – nur die anderen machen da schon lange keinen „PR-Belei­digten-Kinder­garten“ mehr draus! Und deshalb an dieser Stelle ein ganz expli­zites Danke­schön an , , , und all Ihr anderen, dass Ihr einfach macht, was Ihr macht (und wunder­bare Musik!) – und keinen Skandal daraus! 

Spielen für die Zukunft

Vor einem guten Jahr, am 5. September, starb der Pianist . Einer, der so viele gute Gedanken, so viel Freude, so viel Musik hinter­lassen hat – und eine geniale Idee: „Rhap­sodie in School“. In diesem News­letter gibt es eigent­lich keine Veran­stal­tungs­hin­weise, aber: Am 17. Oktober (19.30 Uhr, Laeiszhalle) veran­stalten musi­ka­li­sche Freunde von Vogt ein Gedenk­kon­zert für den Pianisten. Mit dabei sind unter anderem Chris­tian Tetzlaff, , , aber auch , Asya Fateyeva und junge Jazz-Musiker wie Alma Naidu oder Lisa Wulff. Die Einnahmen gehen an das Projekt „Rhap­sodie in School“, das Vogt ins Leben gerufen hat. Hingehen! Oder einfach spenden!

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann? 

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: Die Hoch­schule für Musik und Theater in München (HMTM) hat endlich den Planungs­auf­trag für ihre „Campus­ent­wick­lung“ bekommen! Ein äußeres Zeichen für einen inneren Aufbruch, der unter Präsi­dentin Lydia Grün begonnen hat. Das Baye­ri­sche Staats­mi­nis­te­rium für Wissen­schaft und Kunst hat den Planungs­auf­trag erteilt – es geht um Baumaß­nahmen und die Entwick­lung des Campus Arcis­straße, mit der die Hoch­schule für Musik und Theater München in Zukunft inter­na­tional konkur­renz­fähig bleiben kann. „Ein großer Erfolg und ein wich­tiges Signal für die Zukunft“, sagt HMTM-Präsi­dentin Grün. „Wir werden alles dafür tun, alle Poten­ziale zu nutzen und gemeinsam und verant­wor­tungs­voll eine stabile Zukunft für die Kunst und Kultur von morgen zu schaffen.“

Und dann ein großes Danke­schön: Die Nach­frage nach meinem Buch Die Zwei-Klassik-Gesell­schaft (F.A.Z. Buch) war letzte Woche so groß, dass es bei Amazon zu Liefer­eng­pässen kam! Aber es ist mir eh am liebsten, wenn Sie beim Buch­händler Ihres Vertrauens anklopfen. Hier noch ein ausführ­li­ches Gespräch über das Buch, das ich mit Gabi Szarvas vom Saar­län­di­schen Rund­funk geführt habe.

Ach so, und der neue Podcast Alles klar, Klassik? Ist auch online (hier für apple Podcast und Spotify). Doro­thea Gregor von der Bertels­mann Stif­tung und ich plau­dern über all das, was in der Klassik-Woche liegen­ge­blieben ist: über Lorenzos Strei­chel-Katze, über unseren Podcast-Dackel, über den Struk­tur­wandel der Klassik, über „Captain Obvious“ und die neue Rolle von Inten­dan­tinnen und Inten­danten. 

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

P.S.: Ach ja, in der letzten Ausgabe ist mir ein lustiger Tipp­fehler passiert: Springer-Mann Mathias Döpfner ist natür­lich nicht der „Body“ von , sondern sein: „Buddy!“