Nachruf: Montserrat Caballé

Die Stimme des liebenden Menschen

von Axel Brüggemann

10. Oktober 2018

Nachruf: Montserrat Caballé zu begegnen, war, als begegne man gleich zwei Personen, die sich auf idealste Weise zu einer verschmolzen.

Unser Kolum­nist Axel Brüg­ge­mann zum Tode von Monts­errat Caballé.

Monts­errat Caballé zu begegnen, war, als begegne man gleich zwei Personen, die sich auf idealste Weise zu einer verschmolzen. Zum einen traf man die unan­ge­foch­tene Diva, die große Sängerin, die auch im Privaten keinen Hehl daraus machte, dass ihr Anstand und Etikette, dass ihr der große Auftritt und die Insze­nie­rung des eigenen Ich in der Öffent­lich­keit wichtig waren. Selbst von schwerer Krank­heit gezeichnet, legte Caballé Wert auf Diszi­plin, auf ihre Erschei­nung, darauf, zu lächeln, auch wenn ihr Körper es ihr zuneh­mend schwer machte. Gleich­zeitig stand man immer einem Menschen gegen­über, der zunächst jedem – wirk­lich jedem! – mit einer unglaub­li­chen Neugier, mit Bereit­schaft zur Nähe, mit freu­digem, aber nie aufge­setzt freund­li­chem Inter­esse entge­gen­trat. Einem Menschen, für den der Reiz jeder Begeg­nung darin zu liegen schien, Spaß zu haben, zu lernen, gemeinsam zu denken und zu lachen, kurz: eine gute Zeit zu haben. Monts­errat Caballé war einer der Menschen, die Abgründe inter­es­sierten, die bereit war, schon nach wenigen Begrü­ßungs­flos­keln viel von sich preis­zu­geben – über ihr Leben, ihr Denken und ihr Fühlen. Monts­errat Caballé war jene seltene Mischung aus Diva und Mensch, in deren Anwe­sen­heit sich die Welt der Oper ein biss­chen anfühlte wie eine große Familie zu Weih­nachten.

So geht große Oper: Monts­errat Caballé in der Titel­rolle der Adriana Lecou­vreur an der Metro­po­litan Opera

So wie in Gesprä­chen war sie auch auf der Bühne: Als Lucrezia Borgia, in Bellinis Il Pirata, in Verdis Don Carlo, als Aida und selbst als Salome – Caballé war Meis­terin des Legato, der sanften Linien, des leisen, innigen, warmen, wohligen und alle umar­menden Tones. Dabei war sie nie Ober­fläche, stets intim, gefühl­voll, eine Sängerin, die mit ihren Charak­teren litt, die die Welt der Intrigen, der großen Liebe, der Eifer­sucht und Gefühls­wal­lungen nicht nur verstehen, sondern auch verkör­pern wollte. Die Nach­sicht mit den bösen Frauen hatte, die sie verkör­perte, und das Liebe­volle stets in den Vorder­grund spielte.

„Caballé war einer der Menschen, die Abgründe inter­es­sierten“

Bei uns zu Hause fiel ihr Name bereits in den 60er Jahren, und als ich in den 70ern geboren und in den 80ern für Musik sensi­bi­li­siert wurde, war sie „unsere Monts­errat“. Ich komme aus , und meine Eltern haben Caballé zwischen 1959 und 1962 regel­mäßig am Bremer Theater gehört. Hier nahm ihre Karriere nach dem Studium in und , nach Stationen am Theater in und in Fahrt auf. Spätes­tens, als sie 1965 für Marilyn Horne in der Carnegie Hall einsprang und kurz darauf an der MET debü­tierte, war sie der Star in ihrer Heimat und in der gesamten Welt der Oper. Und stand dennoch regel­mäßig in auf der Bühne.

Viel­leicht ist es auch das, was ihren Tod nun so außer­or­dent­lich macht: Monts­errat Caballé war nicht nur eine der letzten großen Diven, sondern eine jener großen Stimmen, die ihre Karriere jahre­lang an den Häusern deut­scher Stadt­theater vorbe­reitet hatten, in einem fürsorg­li­chen Umfeld, in dem das Enga­ge­ment an einem Haus die Verlän­ge­rung des Studiums bedeu­tete. In dem ein Inten­dant und ein Gene­ral­mu­sik­di­rektor die Stimme einer Sängerin förderten, pflegten und lange Wege gemeinsam mit ihr gingen. In dem Vertrauen, Kolle­gia­lität und Freund­schaft noch echte Werte waren.

„Caballé war nicht nur eine der letzten großen Diven“

Und so mischt sich in den Tod von Monts­errat Caballé nun auch die große Trauer über das anhal­tende Sterben dieser Stadt­theater-Kultur, die unver­wüst­liche Stimmen wie die ihre hervor­ge­bracht hat. Und vor allen Dingen: Künstler, die sich um die Bedeu­tung ihres Publi­kums bewusst waren. Die die Bühne als Menschen betraten, die wussten, wie wichtig es ist, geför­dert zu werden und selbst junge Stimmen zu fördern. Ohne Monts­errat Caballé wäre wahr­schein­lich nie entdeckt worden! Auch später, in ihrer -Sendung (dem Vorläufer zu „Stars von morgen“) trat sie als leiden­schaft­liche, kolle­giale und zutiefst mensch­liche Beglei­terin junger Stimmen auf.

Wenn man in diesen Tagen an das Schall­platten-Regal geht und in der Vergan­gen­heit stöbert, versteht man Monts­errat Caballé als Menschen und ihre Karriere viel­leicht noch besser: Da sind die großen Aufnahmen, die sie an der Seite von José Carreras oder , Sher­rill Milnes, Piero Cappuc­cilli, von Ruggero Raimondi und Nicolai Ghiaurov aufge­nommen hat, diri­giert vom jungen , von Carlo Maria Giulini, von Franco Capuana oder Erich Leins­dorf. Und, ja, man muss diese Einspie­lungen auf Schall­platte hören, nicht als Stream oder MP3. Sie brau­chen das Knis­tern und Rauschen, denn das gehört zur großen Zeit der Oper dazu, zur goldenen Ära, in der Plat­ten­firmen in Studios noch aufwen­dige, perfekte Einspie­lungen für einen gigan­ti­schen Markt produ­ziert haben, in denen es stets darum ging, die Schön­heit der Stimme mit ihrer wahr­haf­tigen Größe zu vereinen.

„Mit ihr ging ein großer Teil wahr­haf­tiger Mensch­lich­keit in der Musik von uns“

Und dann ist da natür­lich noch das Album „Barce­lona“, das sie gemeinsam mit Freddie Mercury aufge­nommen hat. Ich habe kürz­lich eine Doku­men­ta­tion über den Sänger von Queen gesehen, in der es unter anderem darum ging, dass er Caballé unbe­dingt kennen­lernen wollte. In einer spani­schen Fern­seh­sen­dung schwärmte er, dass er sie für die größte lebende Künst­lerin hielt. Man verein­barte ein Treffen, und in der Doku war zu sehen, wie nervös der Giganten-Pop-Star vor der ersten Begeg­nung war. Und wie erstaunt, dass auch er schließ­lich den zwei Persön­lich­keiten der Monts­errat Caballé gegen­über­stand: der großen Diva und dem groß­ar­tigen Menschen.

Schließ­lich produ­zierten die beiden ein so genanntes „Cross­over“, das es bis dahin nicht gegeben, und seither auch nie wieder gegeben hat: Die voll­kom­mene Gleich­be­rech­ti­gung von Pop und Klassik mit großen musi­ka­li­schen Anspruch, einen Song, der zur Hymne wurde – zum Klas­siker. Auch weil Caballé den Menschen Mercury zuließ und beide gemeinsam, auf Augen­höhe, als Freunde mitein­ander musi­zierten.

Am 6. Oktober ist Monts­errat Caballé in einem Kran­ken­haus in ihrer geliebten Heimat­stadt Barce­lona gestorben, in der sie 1933 geboren worden war. Mit ihrem Tod wird uns bewusst, dass das System, aus dem sie kam, längst im Sterben liegt. Dass die große Ära der Oper, für die sie stand, schwer krank ist. Mit ihr ging ein großer Teil wahr­haf­tiger Mensch­lich­keit in der Musik von uns. Und eine Musi­kerin, die Musik stets als selbst­ver­ständ­li­chen, unge­schützten Ausdruck verstand. Was uns bleibt: ihre Schall­platten. Das Knis­tern und Rauschen durch das viele Hören während der letzten Jahr­zehnte macht uns bewusst, dass Monts­errat Caballé eine Sängerin der Vergan­gen­heit ist. Ihren warmen, leisen und intimen Ton aber sollten wir immer wieder auflegen. Weil er die Zeit­lo­sig­keit des liebenden Menschen verkör­pert wie nur wenige andere Stimmen.

Fotos: gemeinfrei