Serge Dorny
Trost angesichts der Zerbrechlichkeit unserer Welt
von Ruth Renée Reif
4. März 2023
Serge Dorny, der Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper, stellt die Spielzeit 2023/2024 vor. Acht Opernpremieren, drei Ballettpremieren und eine große Orchesterreise stehen auf dem Programm.
Die Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft und dem durch den Krieg versursachten Leid wurden zum kompositorischen Thema von Mieczysław Weinberg. In der Regie von Tobias Kratzer steht seine Oper Die Passagierin auf dem Programm. Vladimir Jurowski, der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, dirigiert das Werk über eine KZ-Aufseherin, die im Alter auf einer Schiffsreise mit ihrer Täterinnenrolle konfrontiert wird. Jurowski fühlt sich durch seine Familie, die Weinberg persönlich kannte, mit dem Komponisten verbunden.
Weinberg kam 1919 in Warschau zur Welt und wurde durch den deutschen Überfall auf Polen 1939 zur Flucht gezwungen. Er gelangte nach Minsk, musste jedoch später erfahren, dass seine Eltern und seine Schwester im Zwangslager Trawniki ums Leben gekommen waren. 1941 floh er nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion nach Taschkent. Dmitri Schostakowitsch setzte sich sehr für ihn ein und schrieb für ihn sogar einen Brief an Lawrenti Beria, den gefürchteten Chef des sowjetischen Geheimdienstes.
Das zweite szenische Werk, das Jurowski in der Spielzeit 2023/2024 dirigiert, ist die Operette Die Fledermaus von Johann Strauß. Sie sei eine „Heilige Kuh“ an der Bayerischen Staatsoper, betont er in Anspielung an die Inszenierung von Leander Haußmann, der 1997 die sozialkritischen Aspekte des Werks hervorhob und damit für Empörung sorgte. Ihm sei das Werk jedoch sehr ans Herz gewachsen. Er habe es durch den 2019 verstorbenen Regisseur Harry Kupfer erst richtig verstanden, und er verspricht, dass diese sechste gemeinsame Arbeit mit Barrie Kosky eine politisch brisante und auch lustige Inszenierung werde. Rosalinde verkörpert Diana Damrau, und Prinz Orlofsky wird wie bei Haußmann von einem Countertenor gesungen, Andrey Nemzer.
Als Motto der Spielzeit wählte Dorny einen Satz aus Fernando Pessoas Buch der Unruhe: „Wir sind zwei Abgründe – ein Brunnen, der in den Himmel schaut.“ Dorny betont die großen Herausforderungen, die Gesellschaft wandle am Rande eines Abgrunds, was uns bewusst werden lasse, wie zerbrechlich unsere Welt sei. Oper und Ballett könnten einen entspannenden und tröstenden Charakter haben.
Am Rande des Abgrunds sieht Dorny die Figuren in Peter Tschaikowskis Oper Piqué Dame. Tschaikowski griff dafür auf eine Erzählung Alexander Puschkins zurück. Doch wie Dorny erläutert, zeige Tschaikwoski seine Figuren viel dramatischer als Puschkin.
Eröffnet wird die Saison, in der es auch eine Neuinszenierung von Tosca mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann zu sehen gibt, mit Le nozze di Figaro, der ersten Oper Mozarts, bei der er mit Lorenzo Da Ponte zusammenarbeitete. Die Titelpartie verkörpert Konstantin Krimmel, der soeben bei den OPER! Awards als bester Nachwuchskünstler ausgezeichnet wurde. Gräfin Almaviva ist Elsa Dreißig, das neue Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper.
Die Eröffnung der Münchner Opernfestspiele 2024 erfolgt mit einer Neuinszenierung von György Ligetis Le Grand Macabre. Krysztof Warlikowski setzt das apokalyptische Werk in Szene. Und für die musikalische Leitung kehrt Kent Nagano ans Pult der Oper zurück. Einem Wunsch von Christian Gerhaher folgt die zweite Première der Opernfestspiele. Claude Debussys Pelléas et Mélisande. Gerhaher wolle den ungeliebten Golaud, den Bruder Pelléas«, spielen. Die Inszenierung übernimmt Jetske Mijnssen, den an der Oper vor allem der psychologische Aspekt, die fragilen Figuren und die dysfunktionale Gesellschaft interessierten. Die musikalische Leitung übernimmt Mirga Gražinytė-Tyla.
Zu Beginn der Präsentation spielt die Bläsergruppe des Bayerischen Staatsorchesters die Ouvertüre zu Mozarts Così fan tutte. Anlässlich des 500. Jubiläums des Orchesters erfolgt eine Vorstellung der einzelnen Instrumentengruppen. Zudem begibt sich Jurowski mit den Musikern auf eine große Tournee durch Europa. Zwölf Konzerte in sieben Ländern stehen im September 2023 auf dem Programm.
Das Bayerische Staatsballett zeigt in der Spielzeit 2023/2024 drei neue Inszenierungen. Der Ballettdirektor Laurent Hilaire stellt sie vor. Le Parc von dem Choreografen Angelin Preljocaj erzählt zur Musik von Mozart von der Liebe in allen ihren Facetten. Schauplatz ist eine französische Parkanlage.
Die Ballettfestwoche 2024 eröffnet ein dreiteiliges Ballett von Nacho Duato, Andrew Skeels und Sharon Eyal. Duato verarbeitet in White Darkness den Tod seiner Schwester und setzt sich mit der fatalen Anziehungskraft von Rauschmitteln auseinander. Skeels entwickelt mit dem Ensemble eine neue Choreografie. Und Eyal stellt in Autodance zur Partitur von Ori Lichtik Fragen nach der eigenen Identität.
Bei den Opernfestspielen gibt es Sphären.02 zu erleben. Kurator ist diesmal Angelin Preljocaj. Er wählt Nachwuchschoreografen aus, die aus erzählerischen, abstrakten, improvisierten, klassischen Stilformen Elemente einer möglichen tänzerischen Sprache der Zukunft ableiten, um zu zeigen, wohin das Ballett sich entwickeln könnte.