Teodor Currentzis

Die spiri­tu­elle Kraft der Musik

von Ruth Renée Reif

25. Oktober 2018

Mit dem charismatischen Chefdirigenten Teodor Currentzis am Pult des SWR Symphonieorchesters wird Musik zu einer Abenteuerreise in seelische Tiefen.

Mit dem charis­ma­ti­schen Chef­di­ri­genten am Pult des SWR Sympho­nie­or­ches­ters wird Musik zu einer Aben­teu­er­reise in seeli­sche Tiefen.

Plötz­lich ist er da, dieser kost­bare Augen­blick. Der Funke entzündet sich, und die Musik enthebt uns dem Hier und Jetzt. Sie lässt uns teil­haben an jenem gött­li­chen Klang, von dem die heiligen Schriften der Welt erzählen, aus dem heraus alles geboren ist und der uns unmit­telbar in unserem Sein erfasst. Teodor Curr­entzis ist der Mystiker am Pult. Seine Diri­gate, an denen er sich verzehrt und die die Musi­ke­rinnen und Musiker zu abso­luter Hingabe an die Musik fordern, ergreifen das Publikum mit unwi­der­steh­li­cher spiri­tu­eller Kraft. Vor diesem Hinter­grund ist auch sein Bekenntnis zu einer Mission zu verstehen: „Wenn ich diri­giere, erfüllt sich meine Bestim­mung.“

Seit Beginn der Spiel­zeit 201819 ist Teodor Curr­entzis der erste Chef­di­ri­gent des SWR Sympho­nie­or­ches­ters in . Und schon sein Antritts­kon­zert im Beet­ho­ven­saal der Lieder­halle mit Gustav Mahlers riesen­hafter Dritter Sinfonie hat die Verant­wort­li­chen in ihrer Wahl mehr als bestä­tigt. Er habe dieses Orchester noch nie in dieser künst­le­ri­schen Hoch­span­nung erlebt, schwärmte Peter Boud­goust, Inten­dant des Südwest­rund­funks. „Ein Diri­gent, der eins zu sein scheint mit diesem Orchester.“ Und Johannes Bult­mann, der künst­le­ri­sche Leiter des Klang­kör­pers, erzählt im Gespräch, wie inspi­riert und begeis­tert er die Musiker bereits seit den ersten Proben erlebt habe: „Wenn ich sehe, mit wie viel Enthu­si­asmus und Empa­thie die Musi­ke­rinnen und Musiker des Sympho­niero­ches­ters Teodor Curr­entzis begegnen, macht auch mich das sehr glück­lich.“ Die Empa­thie war beim Publikum. eben­falls zu spüren. Konzen­triert folgte es Mahlers Musik durch alle Stationen der Welt. Als in der Schluss­apo­theose nach vier­fa­chem vergeb­li­chen Ansetzen sich endlich die befrei­ende Erlö­sung in der Liebe vollzog, verharrte es in ergrif­fenem Schweigen, ehe Beifalls­stürme losbra­chen.

„Ein Diri­gent, der eins zu sein scheint mit diesem Orchester“

Mit den Worten „Was mir die Liebe erzählt“, wie Mahler den letzten Satz ursprüng­lich beti­telte, hat Curr­entzis auch seine erste Spiel­zeit über­schrieben. „Liebe und Hingabe an die Musik“ sollen den Musi­kern und ihm Ansporn sein. „Das ist seine Lebens­phi­lo­so­phie“, bekräf­tigt Bult­mann. „Das Anliegen, Menschen zu bewegen, kann man als roten Faden in seiner Arbeit ausma­chen. Er möchte dem Publikum Zugänge eröffnen zu dem, was in der Kompo­si­tion ange­legt ist.“ Und Bult­mann erin­nert sich an die bewe­gende erste Veran­stal­tung von „Curr­entzis Lab“. Über die Infor­ma­ti­ons­reihe sucht Curr­entzis das Gespräch mit dem Publikum, um mit ihm in ein Werk einzu­tau­chen und heraus­zu­finden, welche Hoff­nungen, Wünsche und Enttäu­schungen der Kompo­nist hinein­ge­legt hat und was die Musik erzählt. Zu Mahler fühlt Curr­entzis sich auf beson­dere Weise hinge­zogen. Er empfindet sich seelen­ver­wandt mit ihm. Auffüh­rungen seiner Musik werden für ihn zu intimen Zwie­ge­sprä­chen mit dem Wiener Meister. Im Februar wendet er sich Mahlers beglü­ckender Vierter Sinfonie zu.

Doch bereits davor im Dezember kehrt er ans Stutt­garter Pult zurück, im Gepäck aber­mals ein klang­mäch­tiges Werk: Tschai­kow­skys trium­phale Fünfte Sinfonie. „Das russi­sche Reper­toire mit ihm zu erar­beiten, ist für das Orchester beson­ders inter­es­sant“, betont Bult­mann, „da Curr­entzis sich seit 20 Jahren zur russi­schen Kultur hinge­zogen fühlt.“ Curr­entzis wurde 1972 in geboren, wo er 1987 bei George Hadji­nikos ein Diri­gier­stu­dium begann, ehe er 1994 ans St. Peters­burger Konser­va­to­rium wech­selte. Er wurde Schüler des bereits 90-jährigen Ilja Mussin, von dem auch Semjon Bytschkow und ihre Ausbil­dung erhielten. 2004 zog er in den hohen Norden und wirkte bis 2012 als Chef­di­ri­gent am Opern­haus in Nowo­si­birsk. Er rief das Ensemble Music­Aeterna ins Leben, dem er sich, einer Bruder­schaft gleich, verbunden fühlt und das ihn in den Ural beglei­tete, als er 2011 Musik­direktor des Opern- und Ballett­thea­ters Perm wurde.

„Curr­entzis will noch weiter. Er will die Unmit­tel­bar­keit zurück­ge­winnen“

„Ein ideelles Russ­land“ habe Curr­entzis sich aus der Musik heraus aufge­baut, befindet der Kompo­nist Sergej Newski. Er begrüßt seinen Einsatz für zeit­ge­nös­si­sche Musik. Curr­entzis wiederum sucht auch in der zeit­ge­nös­si­schen Musik das Ritu­elle und Spiri­tu­elle. Aus dieser Perspek­tive folgt er Newskis Versu­chen, die Wurzeln des Klangs aufzu­spüren. Er schätzt Newskis Œuvre als „facet­ten­rei­ches Projekt der Klang­re­cherche“. Im Mai gestaltet er im Auftrag des Festi­vals Acht Brücken und der Phil­har­monie ein Programm aus Werken Rach­ma­ni­nows und Dmitri Kour­li­andskis sowie einer neuen Kompo­si­tion von Newski. Neue Musik gehört ebenso zum Profil des Orches­ters wie die ­histo­risch infor­mierte Auffüh­rungs­praxis. Beides findet über das große sinfo­ni­sche Reper­toire hinaus seine Fort­set­zung in Curr­entzis, der auf Norring­tons einst so gerühmtem „Stutt­gart Sound“ aufbauen will. Sir war von 1998 bis 2011 Chef­dirigent des Radio-Sinfo­nie­or­ches­ters Stutt­gart. Er propa­gierte die Rück­kehr „zu dem, was der Kompo­nist schrieb“ und verfolgte damit das Ziel, die Musik „schön und aufre­gend“ klingen zu lassen. Curr­entzis will noch weiter. Er will die Unmit­tel­bar­keit zurück­ge­winnen, den Zeit­geist aufer­stehen lassen und vorstoßen zur inneren Botschaft der Musik. Seine Inter­pre­ta­tionen verwirk­li­chen keine vorge­fer­tigten Ideen. Sie erwachsen aus dem ener­ge­ti­schen Strom, der ihn mit den Musi­kern verbindet.

„Vor zwei Jahren haben wir die Reise begonnen“, resü­miert Johannes Bult­mann. Im September 2016 wurden das und das SWR Sinfo­nie­or­chester und zum zusam­men­ge­führt. „Mit Teodor Curr­entzis schlagen wir ein neues Kapitel auf in der jungen Geschichte des Orches­ters, und wir blicken mit Lust und Bereit­schaft auf Neues in die Zukunft.“

Das SWR Sympho­nie­or­chester ­unter Teodor Curr­entzis
Spiel­zeit 201819
Infor­ma­tionen und Karten­ser­vice:
www​.swrclas​sic​ser​vice​.de

Fotos: SWR/MatthiasCreutziger