KlassikWoche 06/2022
Von unseriösen Künstlern und dem „Danke“ Sagen!
von Axel Brüggemann
7. Februar 2022
Anerkennung für alle, die spielen, die Nachfolge von Riccardo Muti, der Verdienstorden für Simon Rattle, der Nicht-Haftantritt von Siegfried Mauser
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit einem Ausflug in Klassik-Diktaturen, mit dem sich drehenden Dirigentenkarussell und einem Moment, in dem wir einfach mal Danke sagen!
AUCH MAL DANKE SAGEN!
Nachdem wir in den letzten Wochen immer wieder mit Intendanten gehadert haben, die ihre Festivals abgesagt haben (auch ohne staatliche Anordnung), finde ich, dass es nun an der Zeit ist, mal all jenen zu danken, die den Spielbetrieb trotz aller Widrigkeiten aufrechterhalten! Wie chaotisch das zuweilen sein kann, erzählte Renate Meinhof diese Woche in der Süddeutschen. Sie schrieb von einem denkwürdigen Abend an der Staatsoper in Berlin, ein reines Personalkarussell, bei dem erstaunt, dass am Ende noch jeder wusste, welche Rolle er spielte: Andrés Moreno García übernahm zusätzlich zu der Rolle des Brighella die Rolle des Offiziers von Spencer Britten, Max Urlacher übernahm von Elisabeth Trissenaar die Rolle des Haushofmeisters und gab sein Rollendebüt, Corinna Scheurle übernahm von Natalia Skrycka die Rolle der Dryade, Maria Nazarova von Evelin Novak die Partie der Najade. Hila Fahima übernahm von Sarah Aristidou die Zerbinetta, Gabriela Scherer übernahm für Anna Samuil die Ariadne, und Katharina Kammerloher sang den Komponisten anstelle von Marina Prudenskaya. Ach ja, und dann übernahm Thomas Guggeis das Dirigat von Antonello Manacorda. Das Tolle: Dieses Engagement wurde mit gigantischem Beifall der 353 ZuschauerInnen bedacht! An der Bühne Baden stand die „Traviata“-Première durch Corona-Fälle im Ensemble auf dem Spiel, kurzerhand entschloss sich das Ensemble, die Oper ohne Chor und Ballett stattfinden zu lassen. Der Künstlerische Leiter der Bühne Baden, Michael Lakner, trat vor den Vorhang und musste diese Botschaft verkünden. „Diese spezielle Première wird in die Geschichte eingehen“, war er überzeugt. „Sie werden Ihren Kindern und Enkeln noch davon erzählen.“ So klingt Optimismus!
Nichts mehr zu retten war hingegen beim Gewandhausorchester in Leipzig: Andris Nelsons wurde zehn Minuten vor seinem Auftritt positiv getestet, die MusikerInnen saßen bereits auf der Bühne, als das Konzert abgesagt wurde. Inzwischen stellte sich heraus: Die positiven Tests waren fehlerhaft! Unseren Orchestern bleibt aber auch nichts erspart. Auch die Bremer Philharmoniker hatten keine Chance, die ihrem Publikum immerhin genau erklären, warum sie das Philharmonische Konzert ausfallen lassen müssen: Es war vollkommen überbucht, nachdem die Bremer Regierung die Platzkapazität kurzfristig reduziert hat. Allen, die versuchen, weiterzuspielen mal ein: Herzliches Danke! Ihr seid die Helden dieser schweren Zeit.
CHICAGO SYMPHONY DREHT AM PERSONALKARUSSELL
Zugegeben, die Chicago Classical Review ist eher eine Fan-Seite als ein ernsthaftes Musik-Medium. Trotzdem stellte es eine spannende Frage: Wer wird Riccardo Muti als Chef in den USA beerben? Einige Vorschläge scheinen hanebüchen: Marin Alsop wurde ins Spiel gebracht, aber von der Community gleich in Grund und Boden geschrieben. Und auch ein Wechsel von Simon Rattle nach Chicago scheint eher unwahrscheinlich. Dass Manfred Honeck gehandelt wird, verwundert nicht, ebenso wenig Susanna Mälkki – und dann ist da noch ein Name, der derzeit fast überall gehandelt wird, unter anderem auch als Nachfolger von Christian Thielemann in Dresden: der Tscheche Jakub Hrůša. Einer, der sicher auf einem der nächsten großen Pferde auf dem weltweiten Dirigentenkarussell Platz nehmen wird.
UNSERIÖSE KÜNSTLER?
Auf einer Facebook-Seite las ich neulich von einem Dirigenten, dass immer mehr KünstlerInnen sich nicht mehr an Zusagen halten und ihre lange abgesprochenen Engagements kurzfristig absagen, wenn sie ein besseres Angebot bekommen. „Was macht man als musikalischer Leiter eigentlich mit Solisten, die unzuverlässiger und unzuverlässiger werden?“, fragte er in die Runde. „Ich bin erstaunt, und noch nie in meiner mittlerweile 25-jährigen Karriere mit so vielen Absagen durch Solisten, die ich teilweise 16 und mehr Monate her vertraglich an Projekte für 2022 gebunden habe, und die jetzt, weil etwas Neues kommt oder eine Festanstellung, die ihnen die Erfüllung eines längst bestehenden Vertrages nicht erlaubt, einfach absagen und schreiben: ‚Es tut mir leid‘.“ Viele KollegInnen antworteten auf seinen Thread und erzählten von ähnlichen Erfahrungen.
Auch im internationalen Klassik-Zirkus ist das mit der Verlässlichkeit so eine Sache: Star-Dirigent Valery Gergiev wird am 25. Februar gleich an zwei Orten angekündigt: am Morgen in Moskau, am Abend in der Carnegie Hall. Vom Ende des Moskau-Konzertes bis zum Anfang von Rachmaninows Zweiter Sinfonie in New York liegen acht Stunden, ungefähr genau die Zeit, die ein Flugzeug zwischen diesen beiden Orten braucht. Also, liebes Publikum in New York, ich glaube, Ihr könnt Euch etwas mehr Zeit beim Sekt vor dem Konzert lassen. Aber am Ende ist es, wie Norman Lebrecht schreibt: „An abuse of trust.“
MAUSER – ES REICHT!
Seine Haft hatte er nicht wie geplant angetreten, nun aber hat Siegfried Mauser angekündigt, sich eventuell doch zum Haftantritt zu bequemen. Vorher will er noch „persönliche Angelegenheiten“ klären. Mauser wurde wegen sexueller Nötigung verurteilt. Seine Familie sagte der Kronen Zeitung, sie hätte den Musiker vom Haftantritt zurückgehalten und spricht von einer „ungerechten Strafe“. Mauser stellte Gnadenersuchen an den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und den österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Letzterer wies das Ansinnen jedoch schon aus formalen Gründen zurück, heißt es in der Süddeutschen, der FAZ-Autor Thilo Komma-Pöllath erklärte auf Facebook dagegen: „Habe gerade mit dem Anwalt von Siegfried Mauser telefoniert. Anders als die SZ suggeriert, liegt noch keine offizielle Ablehnung des konkreten Gnadengesuchs von Mauser an Österreichs Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen vor. Das sagt Rechtsanwalt Johann Schwenn: ‚Wenn das Gesuch abgelehnt wird, wird sich Herr Mauser selbstverständlich stellen und seine Haft antreten.“ Ziemlich viele Statements von ziemlich vielen Personen an ziemlich vielen Orten – nicht sehr vielversprechend, das alles. (Mehr zur Causa Mauser kommenden Samstag im Podcast „Alles klar, Klassik?“)
OLYMPIA, WM IN KATAR – DAS KENNEN WIR IN DER KLASSIK DOCH AUCH
Die Propaganda-Eröffnung der Olympischen Spiele in Beijing hatte auch etwas Lustiges: „Klassik geht immer“, mögen sich die Veranstalter gedacht haben und haben beim Einmarsch der Mannschaften die CD „Best of Classics“ eingelegt. Und da marschierten die Österreicher eben nicht mit Walzer-Musik ein, sondern mit dem Trinklied aus „La Traviata“. All das war auf vielen Ebenen verstörend: zum einen auf Grund der kulturellen Annexion, die da stattfindet und die auch in der Klassik zu beobachten ist! Etwa bei den Einspielfilmen des Wiener Neujahrskonzertes, die sich eher an potenzielle Touristen aus Fernost wenden als an Klassik-Fans aus Europa. Überhaupt sollten unsere Orchester aufpassen, dass sie nicht dem Mechanismus der Olympischen Spiele verfallen. Viele schweben langst selber in der Gefahr, eine jahrhundertealte Tradition zu Gunsten ihres ausgehöhlten Stereotyps aufzugeben – für das schnelle Geld. Dann wird Klassik nur noch zur goldenen Behauptung. Und noch etwas: Wenn im Dezember die Fußball-WM in Katar stattfindet und sich wieder alle – zu Recht! – über die politische Moral des Austragungsortes echauffieren, sollten wir nicht vergessen, dass Gastspiele in menschenverachtenden Diktaturen auch in der Klassik verbreitet sind. Auch hier werden die Millionen, die auf den Tourneen nach Japan schnell noch in anderen Ländern abgegriffen werden, gern als „Kultur des Brückenbaus“ verkauft. Ich habe das schon vor Jahren mal für den Focus thematisiert – aber es scheint bis heute ein Tabu zu sein.
PERSONALIEN DER WOCHE
Die Dirigentin Marie Jacquot wird neue Chefin der Dänischen Nationaloper in Kopenhagen. Gratulation! „Das ist ein Job“, sagte sie mir am Telefon, „bei dem ich mein Ideal erfüllen kann: das Konzept von Musik, Bühne und Regie in einem langfristigen Prozess gemeinsam entwickeln.“ +++ Gegenüber den Salzburger Nachrichten hat Rolando Villazón den (auch an dieser Stelle zitierten) Gerüchten des VAN-Magazins widersprochen, dass er im Gespräch für die Intendanz an der Staatsoper Unter den Linden sei. Gleichzeitig verhärten sich Stimmen aus Berlin, nachdem es bereits Vertragsentwürfe gäbe. Wir werden sehen. +++ Der Sir wird Bundesverdienstkreuzträger! Simon Rattle (67), langjähriger Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, wird mit einer der höchsten Auszeichnungen Deutschlands geehrt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird dem Briten kommenden Dienstag das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verleihen. +++ Marco Frei schreibt in der NZZ ein Porträt über Vladimir Jurowski als neuen Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper München. Er steht für einen anderen Stil, heißt es, „führen, ohne zu herrschen“. Ob die Musiker des Orchesters der gleichen Meinung sind – ich habe da so meine Zweifel.
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
https://alles-klar-klassik.podigee.io/2‑neue-episodeJa, wo zum Teufel bleibt es denn? Dieses Mal ist es wieder etwas Persönliches – und ich würde mich freuen, wenn ich Sie neugierig mache! Seit letzten Samstag habe ich gemeinsam mit dem Liz Mohn Center der Bertelsmann-Stiftung den Podcast „Alles klar, Klassik?“ gestartet: Gespräche über die aktuelle Situation der Kultur (überall, wo es Podcasts gibt). In der ersten Folge geht es um das Aufhören, ich spreche mit Sarah Wedl-Wilson von der Hanns-Eisler-Musikhochschule („Nur, wer es wirklich will, macht in Zeiten von Corona weiter“) und mit Hartmut Welscher vom VAN-Magazin („Aufhören ist ein Tabu in der Klassik geworden“). Themen sind außerdem: die Situation an der Staatsoper Berlin unter Daniel Barenboim (Welscher: „Glauben Sie, dass Barenboim der Typ für eine Introspektion mit Stuhlkreis, Flipcharts und 180 Grad-Monitoring ist?“), der Streit um die Bremer Glocke, (Marc Niemann „Kultur muss Grundlage der Stadtplanung sein“), das neue Album von Joyce DiDonato und die Frage, ob wir einen Parlaments-Musikanten brauchen. Außerdem beginnt ab sofort die ultimative Herausforderung für alle MusikerInnen und Ensembles: Wer schickt uns seine originellste Version unserer Opener-Musik (hier die Noten) – die Ensembles der besten Interpretationen werden in einem kleinen Gespräch vorgestellt. Hören Sie doch mal rein.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr