KlassikWoche 30/2020

Festival-Theorie: Klein schlägt groß?

von Axel Brüggemann

20. Juli 2020

Die Rückkehr von Katharina Wagner, der Vinke-Garten als Bayreuth-Alternative, der problematische Führungsstil von Intendant Peter Spuhler in Karlsruhe.

Will­kommen zur neuen Klas­sik­Woche,

allmäh­lich bahnen sich die Ferien an, aber ein Sommer­loch gibt es nicht: statt­dessen viele andere Löcher“ und groß­ar­tige Kompen­sa­tion – beson­ders im Kleinen und Absurden.

KLEIN SCHLÄGT GROSS?

Der Vorver­kauf beim läuft zöger­lich, während das kleine Klassik-Festival im Schweizer bestens besucht scheint. Ein Trend? Meiden die Menschen große Veran­stal­tungen und suchen das Intime und – viel­leicht auch – sichere Klassik Open Air? Die werden offen­sicht­lich gut nach­ge­fragt, aber auch in Öster­reich boomen Alter­nativ-Ange­bote, etwa das Theater im Park, eigent­lich ein Kaba­rett-Festival von , das nun spontan auch , und präsen­tiert, oder Wagner im Wein­viertel von Tenor . Hier werden unter anderem , , oder Nadine Weiß­mann zu hören sein. 

WAGNER-FEST­SPIELE IM GARTEN

Katharina Wagner

Über­haupt scheint gerade Wagner in diesem Sommer beson­ders vermisst zu werden. Die gute Nach­richt: geht es besser – sie will im Herbst an ihren Schreib­tisch zurück­kehren. Ihrem Geschäfts­führer Holger von Berg ist es während ihrer Abwe­sen­heit leider nicht gelungen, ein ansehn­li­ches Sommer­pro­gramm auf die Beine zu stellen (neuester Kompro­miss: leitet“ ein Kammer­musik-Konzert mit Bayreu­ther Rumpf-Orchester und Klavier mit Auszügen aus den Meis­ter­sin­gern“, das im Radio über­tragen wird) . Durch das tragisch schlechte Programm des Baye­ri­schen Rund­funks, der ledig­lich olle UNITEL-Kamellen (die schon jetzt bei YouTube kostenlos zu sehen sind) abspult, hat die (wir haben es letzte Woche geahnt) eine Markt­lücke entdeckt.

Das Label hat eine neue Strea­ming-Platt­form gegründet, auf DG-Premium werden wenigs­tens die span­nenden Insze­nie­rungen der letzten Jahre zu sehen sein (voraus­ge­setzt, dass alles klappt, denn Tenor musste sich nach dem Debüt der Live-Platt­form von DG-Stage bei seinen Fans auf Insta­gram mit dras­ti­schen Worten entschul­digen: „I have been upset about the tech­nical diffi­cul­ties surroun­ding our live streams.“) 

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Die für mich eindeutig char­man­teste -Alter­na­tive ist der Wagner-Garten von Bayreuth-Sieg­fried Stefan Vinke. Er wird am Eröff­nungstag der Fest­spiele seine eigenen Garten-Fest­spiele in der Nähe von eröffnen – mit dem ersten Aufzug der „Walküre“. Vinke singt den Sieg­mund, seine Frau Sabine Vinke die Sieg­linde und Sung Ha den Hunding. All das wird stil­echt und Corona-gerecht zwischen Klet­ter­turm, Swim­ming­pool und Hasen­stall für Besu­cher auf 80 weißen Garten­stühlen statt­finden. Und weil diese Idee einfach zu gut ist, musi­ka­lisch viel­ver­spre­chend und einen so unend­lich eigen­in­itia­tiven Opti­mismus ausstrahlt, freue ich mich, an dieser Stelle verkünden zu können: Für jeden, der nicht beim ausver­kauften Eröff­nungs­kon­zert dabei sein kann, wird Klassik-Radio das Konzert live um 18:00 Uhr auf Face­book streamen (die FB-Seite von CRESCENDO wird den Stream über­nehmen), und, ja, ich freue mich, bei Stefan Vinke ein biss­chen hinter die Kulissen schauen zu dürfen. Smoking und Swim­ming­pool – das ist Wagner 2020! Wir sehen uns (und wer Inter­esse an Folge­ver­an­stal­tungen u.a. mit Sieg­fried und Holländer hat – hier entlang).

WEIKLS WIRRUNGEN

Die Rückkehr von Katharina Wagner, der Vinke-Garten als Bayreuth-Alternative, der problematische Führungsstil von Intendant Peter Spuhler in Karlsruhe

In der Regel lege ich jeden Tag Dinge, die mir auffallen, in einer Liste ab, um sie am Ende an dieser Stelle aufzu­drö­seln. So war es auch beim YouTube-Video, das der Sänger hoch­ge­laden hat und in dem er mit großer Leiden­schaft, leider aber auch mit unglaub­li­cher Igno­ranz und wissen­schaft­li­chem Unwissen behauptet hat, warum es voll­kommen unge­fähr­lich sei, in Zeiten von Corona zu singen. Als ich heute darüber berichten wollte, war das Video nicht mehr vorhanden – statt­dessen ein Kommentar von Bernd Weikl: „Ich habe zwischen­zeit­lich im Dialog mit Wissen­schaft­lern der Berliner Charité und Tech­ni­schen Univer­sität alles über die neuesten Ergeb­nisse ihrer Studien erfahren und werde dieses YouTube durch ein Neues ersetzen. Bernd Weikl.“ Lieber Bernd Weikl, ich schätze Sie so sehr als Sänger. Und es ist schön, nun schreiben zu können, dass es vielen von uns in diesen Tagen so geht: Wir lernen jeden Tag Neues. Und wirk­liche Größe ist es, die alten Irrungen einzu­ge­stehen – und weiter zu gehen. Im Dialog zu bleiben. Offen zu bleiben. Neugierig, aber eben auch: sach­lich. Danke für diese Offen­heit, Bernd Weikl!

ZOFF IN KARLS­RUHE

Mindes­tens 74.000 Euro wurden in für Media­tions-Gespräche zwischen der Inten­danz von Peter Spuhler und dem Ensemble ausge­geben. Der Erfolg? Eher gering. Burn-outs im Ensemble, Frust und tiefe Krän­kungen über den Führungs­stil des Inten­danten und seine künst­le­ri­sche Leitung. Orchester- und Chor­vor­stand haben Spuhler immer wieder schlechte Führung vorge­worfen. Letzten Freitag schließ­lich der Entschluss des Verwal­tungs­rates, dass Spuhler Gene­ral­inten­dant des Badi­schen Staats­thea­ters bleiben soll – wohl weniger wegen seiner Führungs­qua­li­täten, sondern weil ein Perso­nal­wechsel in Umbau-Zeiten eher riskant wäre. Darauf hat sich auf jeden Fall der Verwal­tungsrat verstän­digt. Draußen demons­trierten derweil über 300 (!!!) Mitar­beiter, und auch bei mir gingen zahl­reiche Mails ein, die unter anderem berich­teten, dass die Bestä­ti­gung Spuh­lers ein „Schlag ins Gesicht all derer“ sei, „die das Haus – ohne eine andere Posi­tion – in die Unge­wiss­heit verlassen haben, die krank geworden sind oder aus dem KBB an die Pforte wech­seln wollten.“ All das ist zu aktuell, um Spuhler um eine Stel­lung­nahme zu bitten. Spuhler verspricht indes Besse­rung – sein Ensemble aber, das deutet sich an, glaubt ihm nicht mehr. Sicher ist: Der Fall wird uns die nächsten Wochen beschäf­tigen – wir wollen heraus­finden, was wirk­lich passiert ist und wie Politik und Inten­danz sich posi­tio­nieren. Das Wich­tigste für das Theater und die Theater-Menschen in diesen Tagen: Öffent­lich­keit herzu­stellen.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Die Land­wirte Corinne und Uli Ernst haben im baye­ri­schen Utting am Ammersee auf 1,7 Hektar einen Irrgarten mit einem über­di­men­sio­nalen Porträt Ludwig van Beet­ho­vens geschaffen – Beet­hoven, ein ewiges Laby­rinth! +++ Nun steht es fest: gibt ein neues Volks­theater für 110 Millionen in Auftrag, und so wird es aussehen. +++ will die Abwick­lung der Hilfen für Künstler über die GEMA laufen lassen und hat sich in der Morgen­post wieder einmal als welt­fremde Poli­ti­kerin gezeigt: Eine Folge der Krise sei aber auch „eine neue Wert­schät­zung für die Kultur“, sagte sie. „Wir alle spüren, wie viel Lebens­qua­lität uns ohne Kultur verloren geht, wie sehr wir Kunst, Musik und Poesie nötig haben, auch, um Antworten auf die verstö­renden Fragen des Daseins zu erhalten“, das sagt Grüt­ters und scheint noch immer nicht gecheckt zu haben, dass gerade das Verlas­sen­sein der Kultur durch die Politik Grund für so viel Frust ist. Umso wich­tiger Künstler wie Stefan Vinke, die laut darüber nach­denken, ob Poli­tiker über­haupt noch über den Roten Teppich laufen sollten – „derzeit jeden­falls fühlen wir uns von ihnen verlassen.“ +++

Warum musste Anna Netrebko nach ihrem -Urlaub (wir haben berichtet) nicht in Quaran­täne? Das haben sich manche Boule­vard-Zeitungen am Wochen­ende gefragt. Statt zu Hause zu sitzen, postete Netrebko Menschen-Massen beim Feiern und abend­li­chen Schlen­dern aus – und ein Schau­fenster mit dem Aufkleber: „Fuck – Su tutta la colle­zione Covid“. Ach so: Die Antwort auf die Quaran­täne-Frage ist simpel: Ein nega­tiver Test erspart eine 14-Tage-Quaran­täne. +++ verlässt das Opern­haus mit sofor­tiger Wirkung, der Aufsichtsrat der Bühnen Halle hat den Dienst­ver­trag bedin­gungslos aufge­löst. +++ , verur­teilter Sexu­al­straf­täter und Ex-Leiter der Münchner Musik­hoch­schule will nicht in den Knast, erst entging er den Münchner Behörden, indem er nach Salz­burg ging. Vom dortigen Landes­ge­richt hat er jetzt ebenso eine Ladung erhalten: Bis Ende Juli soll der 66-Jährige in der Justiz­an­stalt Puch-Urstein einpas­sieren. Um das zu verhin­dern, hat Mauser nun den Hamburger Star­an­walt manda­tiert, der unter anderem Wetter­mann vertrat – und aktuell den Verdäch­tigen im Fall der verschwun­denen Made­leine McCann. +++ Jonas Kauf­mann, Anna Netrebko, und werden Konzerte von beson­deren Orten für die MET geben.

Ich wollte eigent­lich schon letzte Woche Urlaub machen, aber dann war so viel los – nun reisen wir am Samstag ja in Vinkes Wagner-Garten… und dann, dann werde ich auch mal ein wenig abschalten. Wir lesen uns dann in zwei Wochen wieder – mit der CRESCENDO Klas­sik­Woche.

Bis dahin genießen Sie den Sommer, und halten Sie die Ohren steif.

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de