KlassikWoche 40/2020

Die Diri­gentin, der Inten­dant und das blöde Virus

von Axel Brüggemann

28. September 2020

Uwe Eric Laufenberg, ein Gerücht um Andris Nelsons, die Reaktionen von Annick Nézet-Séguin und die Eröffnung von Bayreuth 2021 durch Oksana Lyniv.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

Steht Wies­ba­dens Inten­dant vor der Entlas­sung? Und wo ist eigent­lich MET-Diri­gent , während sein Orchester abge­schafft wird? Gestern Abend wurde in die „Walküre“ in der Regie von gefeiert – erste Eindrücke hier. Aber beginnen wir mit einem Gerücht, das wir in diesen Tagen ziem­lich oft, beson­ders aus , hören. 

VON LEIPZIG NACH AMSTERDAM? 

Der Musikdirektor des Gewandhausorchesters in Leipzig, Andris Nelsons

Der Kapell­meister des Gewand­haus­or­ches­ters in , , scheint nun doch ernst­haft Inter­esse zu haben, neben seinem Job in Boston auch das Concert­ge­bou­wor­kest in Amsterdam zu über­nehmen (trotz der dort sehr kriti­schen finan­zi­ellen Situa­tion). Das hört man auf jeden Fall immer öfter aus der hollän­di­schen Haupt­stadt. Noch ist alles ein Gerücht, aber schon nächste Woche könnte es eine hand­feste Meldung sein.

Dann wird es natür­lich auch um die Frage gehen, wer Andris Nelsons in Leipzig ersetzen könnte. Das wiederum wird wohl erst entschieden werden, nachdem das einen Nach­folger für gekürt hat – denn das Orchester in scheint derzeit noch attrak­tiver zu sein als Leipzig. 

CORONA-FALL BEIM BRSO

Corona schreckt doch mehr Menschen, als einige Inten­danten glauben. In sind nicht einmal die Konzerte der ausver­kauft – das Publikum scheint ängst­lich. Berlins Konzert­haus­chef Sebas­tian Nord­mann zitiert eine eigene Umfrage: 25% seines Publi­kums wollen keine Masken während der Konzerte tragen. Gleich­zeitig erin­nert die auf Face­book an das bestehende „Bravo-Verbot“: Wer in die Oper kommt, scheint auch jubeln zu wollen. Außerdem: Der Opern­ball in Wien wurde abge­sagt, die Wiener Phil­har­mo­niker glauben indes noch an eine Form des Tanzes.

Eska­liert ist die Situa­tion im Teatro Real in . Hier hat das Publikum auf den Rängen gegen eine zu enge Sitz­an­ord­nung protes­tiert, so laut­stark, dass die Vorstel­lung abge­bro­chen werden musste. Und gestern hat es dann auch das Orchester des Baye­ri­schen Rund­funks in München erwischt. Dort wurde ein Konzert abge­sagt, auf der Home­page hieß es: „Beim Sympho­nie­or­chester des Baye­ri­schen Rund­funks wurde im Rahmen des gegen­wär­tigen Projektes der musica viva-Konzert­reihe im Prinz­re­gen­ten­theater ein Mitglied positiv auf das Corona-Virus getestet. Die betref­fende Person hat sich in Quaran­täne begeben. (…) In Absprache mit der Leitung des Prinz­re­gen­ten­thea­ters hat sich der Baye­ri­sche Rund­funk als Veran­stalter entschlossen, die für den heutigen Sonntag anbe­raumte musica viva-Veran­stal­tung abzu­sagen, um dem Sympho­nie­or­chester für die kommende Woche eine medi­zi­nisch durch­ge­tes­tete Fort­füh­rung der Konzerte zu ermög­li­chen.“ Wir werden uns an derar­tige Meldungen gewöhnen müssen – das BRSO handelt vorbild­lich!

CORONA-DICK­SCHÄDEL VOR ENTLAS­SUNG? 

Uwe Eric Laufenberg in Wiesbaden wollte um jeden Preis Musik ermöglichen.

Und dann ist da noch unser alter Freund in , Inten­dant Uwe Eric Laufen­berg. Wir erin­nern: Einst bekam er eine Abmah­nung seiner Dienst­herrin, weil er mich mit histo­risch schrägen Beschimp­fungen belei­digte, dann aber – und das sage ich in aller Offen­heit – hat er auch mir impo­niert: als Inten­dant, der um jeden Preis Musik möglich machen wollte. Nun scheint Jan Philipp (ja, Insider!) den Bogen aller­dings über­spannt zu haben. Laufen­berg hat mit seiner Auslas­tungs­po­litik das hessi­sche Sicher­heits­kon­zept igno­riert. Die Konse­quenz: Die Wochenend-Vorstel­lungen in Wies­baden wurden abge­sagt.

Laufen­berg erklärte, dass er bereits vor der Ände­rung der Hygiene-Rege­lung Karten verkauft hätte und er das nun neu orga­ni­sieren müsse. Ganz anders sieht das laut FAZ Hessens Kunst­mi­nis­terin Angela Dorn:Das Minis­te­rium habe nicht die Durch­füh­rung von Vorstel­lungen unter­sagt. Das Gesund­heitsamt der Landes­haupt­stadt habe dem Theater keine Sitz­ord­nung geneh­migt, die einen gerin­geren Mindest­ab­stand als die durch die Landes­ver­ord­nung vorge­schrie­benen 1,50 Meter nach allen Seiten zulasse. Dies sei dem Theater in Gesprä­chen mitge­teilt worden. ‚Es ist die urei­gene Aufgabe der Leitung eines Staats­thea­ters, den Spiel­be­trieb unter Einhal­tung aller geltenden Gesetze und Verord­nungen zu gewähr­leisten‘, so Dorn. ‚Die Thea­ter­lei­tung miss­achtet mit ihrer Entschei­dung ausdrück­liche Anwei­sungen des Minis­te­riums für Wissen­schaft und Kunst, das den Vorgang und seine Konse­quenzen zeitnah prüfen wird.‘“ Hört sich nicht gut an für Laufen­berg, auch, weil das bedeutet, er hätte sein Ego über die Gesund­heit der Besu­cher gestellt. Beson­ders ärger­lich für ihn: Sollte es zu einer zweiten Abmah­nung und damit zur Entlas­sung kommen, würde er nicht nur wegen seiner Corona-Pionier­ar­beit gehen müssen, sondern auch wegen seiner ärger­li­chen Unbe­herrscht­heit. 

AUS DER FILM­IN­DUS­TRIE

Man konnte neugierig sein, als Amazon ange­kün­digt hat, ins Klassik-Geschäft zu gehen. Erstes Projekt: Ein Film über . Würde dem privaten Anbieter viel­leicht ja eine jour­na­lis­tisch-krea­tive Alter­na­tive zu den oft klamau­kigen -Bio-Pics über Klassik-Künstler à la Rrrrrrrrr­ro­lan­doooooo gelingen? Puste­ku­chen! Kritiker Uwe Fried­rich ordnet die Doku im BR wie folgt ein: „‚Ein Welt­star ganz privat‘“ seien „75 Minuten Eigen­wer­bung im Hoch­glanz­format“. Dann doch lieber gleich einen Groß­meister enga­gieren, mag sich Pianist gedacht haben. Dessen Manage­ment hat nun für einen Bio-Pic gewonnen. Der hatte gerade in seiner Luciano-Pava­rotti-Doku gezeigt, dass Oper für ihn vor allen Dingen eines ist: eine Holly­wood-Soap-Opera. 

DIE DIRI­GENTIN

Oksana Lyniv dirigiert die Eröffnung der Bayreuther Festspiele 2021

Die Diri­gentin“ ist der Titel eines Filmes, der gerade ange­laufen ist und die Geschichte der Diri­gentin Antonia Brico erzählt: Etwas pathe­tisch und voll­kommen ohne Rück­sicht auf musi­ka­li­sche Authen­ti­zität von Regis­seurin Maria Peters Szene gesetzt. Da ist es lohnens­werter, die Augen auf eine der vielen Nach­fol­ge­rinnen von Brico zu richten, auf die ukrai­ni­sche Diri­gentin . Sie soll die 2021 mit dem „Flie­genden Holländer“ eröffnen. Der BR führte ein Inter­view mit ihr und fragte schnip­pisch, ob sie Probleme damit hätte, wenn , als „Direktor der Bayreu­ther Fest­spiele“ ihre Arbeit disku­tieren wolle. Abge­sehen davon, dass diese Posi­tion noch immer nicht verlän­gert wurde, antwor­tete Lyniv souverän: „Nein, ich disku­tiere gern über Musik und Inter­pre­ta­tionen. Es ist sehr inter­es­sant, wenn man sich mit Kollegen austau­schen kann. Was die tech­ni­sche und musi­ka­li­sche Umset­zung betrifft, kann ich nur froh sein, mehrere Meinungen zu hören. Aber entscheiden muss ich selbst. Ich stehe ja am Ende allein am Pult und trage die Verant­wor­tung für die Leis­tung.“ Bereits vor zwei Jahren hatte das VAN-Magazin die Diri­gentin an ihrer Wirkungs­stätte in besucht und ausführ­lich porträ­tiert. 

DER US-SCHOCK

Sie werden entlassen: Chor und Orchester der MET. Und wie äußert sich Yannick Nézet-Séguin dazu?

Die MET hat ange­kün­digt, dass sie die Türen für ein weiteres Jahr schließt. Und zwar mit für Europa unmög­li­chen Konse­quenzen: Orchester und Chor werden entlassen – es wird nichts anderes als die Kran­ken­kasse gezahlt. Wo ist in dieser Situa­tion eigent­lich Chef­di­ri­gent Yannick Nézet-Séguin? Der postete in den letzten Wochen auf Insta­gram lustige Bilder vom idyl­li­schen Privat-Rückzug in die Berge. Muss man von einem Orches­ter­chef nicht mehr Enga­ge­ment, Laut­stärke und Unter­stüt­zung für das eigene Ensemble erwarten? Andere US-Orchester verzichten kollektiv, inklu­sive Admi­nis­tra­tion und künst­le­ri­sche Leitung, auf erheb­liche Teile des Einkom­mens, um das Ensemble als ganzes über Wasser zu halten. Nézet-Séguin brauchte bis Sams­tag­morgen für ein eher lauwarmes State­ment. Auch Peter Gelb hat sich in seiner internen Ansprache nicht wirk­lich mit Ruhm bekle­ckert. Eines auf jeden Fall ist sicher: Unso­li­da­ri­scher als in den USA ist Kultur an kaum einem anderen Ort. Um so absurder erscheint es, dass nun auch noch herauskam, dass die MET dem Diri­genten (noch vor Corona) eine Abfin­dung von 3,5 Millionen Dollar gezahlt hat – als Vergleich nach den Vorwürfen sexu­eller Über­griffe. 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Igor Levit wird mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Als klar wurde, dass am kommenden Donnerstag das Bundes­ver­dienst­kreuz erhält, hat mich der SWR um einen Gast-Kommentar gebeten. Meine Meinung: Ich gönne es ihm, finde es aber erstaun­lich, dass Levit den poli­tisch Unan­ge­passten gibt, in Wahr­heit aber ein voll­kom­mener Reprä­sen­tant des selbst­ver­ständ­li­chen und huma­nis­ti­schen Polit-Konsens« ist, und ich befürchte, dass die Auszeich­nung ein kultur­po­li­ti­sches Ablen­kungs­ma­növer ist, das das Schei­tern der Kultur­po­litik von Monika Grüt­ters über­tün­chen soll. Hier der ausführ­liche Kommentar, warum Levit der Rück­halt unter Musiker-Kollegen fehlt. +++ postet schon wieder aus dem Corona-Kran­ken­haus: Zum einen erklärte sie ihre Soli­da­rität mit allen Künst­lern der MET, auf der anderen Seite ist sie unbe­lehrbar und findet alle kultu­rellen Corona-Einschrän­kungen einfach „dumm“. +++ Und auch das Macho-Gehabe hört einfach nicht auf. Nachdem als Ehren­prä­si­dent des Maggio Musi­cale in nach den Enga­ge­ments von und James Levine befragt wurde, antwor­tete er allen Ernstes: „Die schwarzen Listen über­lassen wir dem ameri­ka­ni­schen Puri­ta­nismus. Levine ist von den US-Medien ruiniert worden. Domingo hat die Los Angeles Oper verlassen müssen, die vor ihm nichts wert war. Und alles nur wegen Klagen, die nach 30 Jahren von verfehlten Künst­lern stammen. Das klingt nach Rache“. +++ fordert im „Tages­spiegel“ eine Locke­rung von Abstands­re­geln im Orchester: „Unsere Arbeit voll­zieht sich vor allem in nonver­baler Kommu­ni­ka­tion“, sagt Petrenko und vergleicht die Inter­pre­ta­tion einer Sinfonie mit dem Flug eines Vogel­schwarms gen Süden. Beides sind große Reisen, in beiden Fällen ist der körper­liche Kontakt konsti­tutiv fürs Gelingen. Darum kämpfen die hinter den Kulissen intensiv dafür, dass sich schnell etwas ändert an ihren Abstands­re­geln. +++ Kompo­nist schreibt in einem scho­nungslos ehrli­chen Text in der NMZ über seine Moti­va­ti­ons­lo­sig­keit in der Covid-Krise und darüber, warum er derzeit lieber läuft als Noten anein­ander zu reihen. +++ Sie war auch ein Klas­siker! Kerstin Gall­meyer ruft hier der Muse von Saint-Germain-des-Prés, Juli­ette Gréco nach.

VERRISS DER WOCHE

Szenenfoto von "Boris Godunow" am Opernhaus Zürich

So richtig sauer war Kritiker Chris­tian Berzins im Tagblatt über das Expe­ri­ment an der Oper . Dort wurde die Oper „Boris Godunow“ aufge­führt – trotz Corona. Mit einem tech­ni­schen Kniff: Das Orchester spielte live an einem anderen Ort und wurde tech­nisch in den Saal geschaltet, wo Barrie Koskys Regie gezeigt wurde. Während viele Kollegen allein den Versuch dieses Unter­fan­gens begrüßten, tobte Berzins in wunder­barer Rage. „So fürch­ter­lich war eine Saison­er­öff­nung noch nie“, titelte er und schrieb: „Galt es da der Kunst? Muss man beschreiben, wie schreck­lich es ist, wenn das Orchester nicht im Haus ist, wenn es sich dort nur via Glas­faser entfalten kann? Soll man schreiben, dass im Fortis­simo Chor und Orchester zu einem brutalen, dröh­nenden Metall-Klang wurden? Dass es in den stillen Einlei­tungen, wo noch keine Hand­lung zu sehen war, klang, als schlage da die Toten­glocke?“ 

FRIE­DENS­PFEIFE

Wir waren keine Freunde: Ich habe immer wieder die Kosten und die Konse­quenzen der für den vorge­rechnet, und er hat immer wieder bei Chef­re­dak­teuren ange­rufen und sich über meine Kritik beschwert. Dann war lange Funk­stille. Aber irgendwie fanden wir, dass es an der Zeit sei, eine Frie­dens­pfeife zu rauchen! Und das haben wir nun getan, fast zwei Stunden lang und dabei über eine Jugend in Wien, über Theater-Voll­blüter wie Ioan Holender und Alex­ander Pereira, aber auch über den Wandel der Kultur- und Klassik-Szene gespro­chen. Hier ist Elbphil­har­monie-Inten­dant Chris­toph Lieben-Seutter im XXL-Gespräch.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr 

brueggemann@​crescendo.​de