KlassikWoche 35/2019

Thie­le­manns Rubikon, Petrenkos Elysium und Says Märchen­wald

von Axel Brüggemann

26. August 2019

Heute mit einer exklusiven Geschichte über den Zoff bei den Salzburger Osterfestspielen, mit einem Kirill Petrenko im Elysium und einem Pianisten im bedrohten türkischen Wald.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit einer exklu­siven Geschichte über den Zoff bei den Salz­burger Oster­fest­spielen, mit einem Kirill Petrenko im Elysium und einem Pianisten im bedrohten türki­schen Wald. 

WAS IST 

SHOW­DOWN: THIE­LE­MANN VS. BACHLER

Das Thema der Woche braucht etwas Raum – zu vertrackt und verfahren ist die Situa­tion bei den Salz­burger Oster­fest­spielen derzeit. Nachdem Chris­tian Thie­le­mann erklärt hatte, dass er nicht bereit sei, mit dem desi­gnierten Geschäfts­führer der Oster­fest­spiele und derzei­tigen Inten­danten der Baye­ri­schen Staats­oper, Niko­laus Bachler, zusam­men­zu­ar­beiten (wir haben berichtet), legte er nun nach. Und wieder wählte er dafür den Jour­na­listen Jürgen Kesting von der FAZ als Sprach­rohr. Kesting schlägt sich dabei ziem­lich distanzlos auf Thie­le­manns Seite und nennt die Salz­burger Politik-Prot­a­go­­nisten eine „Polit­ban­di­ten­ge­sell­schaft”, was -News-Chef Bern­hard Neuhoff auf Twitter heraus­ge­for­dert hat, über eine „unnö­tige verbale Verro­hung” zu spre­chen. Kritiker Manuel Brug legt eine „Instru­men­ta­li­sie­rung (Kest­ings) von der Ruzicka-Frak­­tion” nahe ( ist derzei­tiger Geschäfts­führer und Verbün­deter Thie­le­manns). Aber das ist noch nicht alles. Thie­le­mann hat inzwi­schen auch den Anwalt Peter Raue einge­schaltet, um seine Posi­tion zu vertreten.

Fakt ist: Bis 2022 ist Bachler ledig­lich als Geschäfts­führer verpflichtet. Thie­le­manns Vertrag läuft 2023 aus (wenn er nicht verlän­gert wird). Von 2022 an ist Bachler als künst­le­ri­scher Gesamt­ver­ant­wort­li­cher verpflichtet – bis vorerst 2025. Klar, dass er sich in dieser Rolle von Thie­le­mann nicht vorschreiben lassen will, was von 2023 an auf dem Programm stehen soll. Um so merk­wür­diger, dass Thie­le­manns Pläne nun in den Salz­burger Nach­richten geleakt wurden (auf Anfrage, ob der Diri­gent ausschließen könne, die Interna selber weiter­ge­geben zu haben, bekamen wir bis heute keine Antwort). Der Diri­gent plant 2022 auf jeden Fall einen Lohen­grin mit Piotr Beczała und 2023 eine Elektra in der Insze­nie­rung von Katha­rina Wagner. Beide Pläne gefallen Bachler angeb­lich nicht, und – hier wird es span­nend – auch das Orchester, die Säch­si­sche Staats­ka­pelle, soll bei einem Treffen im Bayreu­ther Restau­rant Bürger­reuth im Juli Bedenken geäu­ßert haben. Das ist beson­ders span­nend, da sich hier erste Brüche zwischen Orchester und Diri­gent zeigen – beide sind unab­hängig vonein­ander bei den Oster­fest­spielen enga­giert.

Knack­punkt der Debatte aber scheint ein anderes Detail: Während Thie­le­mann behauptet, dass Bachler ihm unge­fragt von der Politik vor die Nase gesetzt worden sei, hört man aus dem Aufsichtsrat, dass Thie­le­mann nach einem ersten Treffen mit Bachler der Perso­nalie zunächst zuge­stimmt haben soll – und sich erst später, in einer Aufsichts­rats­sit­zung, gegen den Mann aus  ausge­spro­chen habe. Die Wahr­heit in dieser Frage wird entschei­dend über den Fort­gang der Verhand­lungen werden.

Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer hat bereits unter­schied­liche Persön­lich­keiten ange­fragt, um zu vermit­teln, unter ihnen wohl auch Ex-Staats­­­o­pern-Inten­­dant Ioan Holender. Am Ende wird der Ball aber wieder bei der Politik landen. Die Schlüs­sel­frage wird sein, ob Bachler ab 2023 nicht längst eine voll­kommen neue Aufstel­lung der Oster­fest­spiele plant: Ohne festes Orchester und Diri­genten, statt­dessen mit inten­siven Gast­spielen von jä­lich wech­selnden Orches­tern. Ist die eigent­liche Ausschrei­bung etwa längst obsolet, in der es hieß: Der neue Geschäfts­führer soll „an der Seite des Künst­le­ri­schen Leiters Chris­tian Thie­le­mann und der Säch­si­schen Staats­ka­pelle  als Resi­denz­or­chester das Festival in die nächste Dekade führen und weiter entwi­ckeln.“ Nicht undenkbar, dass Bachler und Haslauer längst einen anderen Plan verfolgen und die Oster­fest­spiele nicht länger als Diri­­genten-Fest­­spiele wie einst unter Herbert von Karajansondern als klug kura­tierte Leis­tungs­show der welt­besten Orchester und Diri­genten fort­führen wollen. Dafür gäbe es viele gute Gründe – aber sie müssten auf den Tisch. 

Der Salz­burger Landes­haupt­mann ist derzeit im Urlaub, die nächste Aufsichts­rats­sit­zung ist für den 17. September anbe­raumt. Es ist frag­lich, ob sich die Salz­burger Politik bis dahin gefallen lässt, eine „Bandi­ten­ge­sell­schaft” genannt zu werden, dass interne Pläne an die Öffent­lich­keit gelangen und ein Musik­di­rektor die Öffent­lich­keit sucht, um den Landes­haupt­mann vor sich herzu­treiben – viel­leicht ist der Rubikon längst über­schritten, ohne dass Thie­le­mann es ahnt. 

Ein über­wäl­ti­gendes Erlebnis auf der Bregenzer Seebühne

Diese Neupro­duk­tion von Verdis Rigo­letto eröff­nete die Bregenzer Fest­spiele 2019. Der Regis­seur und Bühnen­bildner  erschuf ein Opern­spek­takel der ganz beson­deren Art. Jetzt erhält­lich auf DVD und Blu-ray.

PETRENKOS GRUSS DER GANZEN WELT

Wir wissen nicht, ob Chris­tian Thie­le­mann dem Antritts­kon­zert von  bei den Berliner Phil­har­mo­ni­kern am Radio gelauscht hat (der noch abruf­bare Audio-Mitschnitt ist dabei wesent­lich hörens­werter als die Video-Über­­­tra­­gung vom Bran­den­burger Tor). Wenn, dann hat er gehört, was diesen Diri­genten so beson­ders macht. Gerade in Beet­ho­vens Neunter Sinfonie liegt Petrenkos Stärke darin, nichts bewusst anders machen zu wollen. Er ist keiner dieser Mode-Diri­­genten, der die Musik für das eigene Ego gegen den Strich bürstet, keiner, der auf leere Affekte setzt, sondern jemand, der im Urver­trauen auf die Noten eine unmit­tel­bare Tiefe findet. Und vor allen Dingen: Petrenko scheint sein Orchester durch unend­li­ches Vertrauen zu neuen Höhen anzu­spornen. Schon lange hat man die Berliner Phil­har­mo­niker nicht mehr als derart virtuoses Solisten-Ensemble und gleichsam als unwi­der­steh­li­ches Team gehört: sinn­lich und exis­ten­ziell in jeder Nuance. Man hört, warum jeder einzelne Musiker sich auf den neuen Diri­genten freut! Dazu eine groß­ar­tige Sänger-Bese­t­­zung mit Elisa­beth Kulman und Kwang­chul Youn. Die Mess­latte für das Beet­hoven-Jahr 2020 liegt auf jeden Fall schon mal so hoch wie das Elysium selbst. 

WAS WAR

DOMINGO-INVES­­TI­­GA­­TION HAT BEGONNEN 

Nach den Sex-Vorwürfen gegen  wurde nun die Juristin Debra Wong Yang einge­setzt, um die Unter­su­chungen an der LA-Opera zu leiten. Debra Wong war Rich­terin in Los Angeles und leitete bereits eine Unter­su­chung an einer Medi­zin­hoch­schule. Sie endete damals mit dem frei­wil­ligen (und ausbe­zahlten) Rück­tritt des Leiters. Über eine ähnliche Lösung wird auch im Fall Domingo bereits getu­schelt. Derweil stehen die weiteren Domingo-Auftritten fast schon verbohrt kritisch gegen­über, und Europa beweist Augenmaß: Gerade hat sich  via Face­book mit Domingo soli­da­ri­siert, und selbst enga­gierte #metoo-Kämp­­fe­rinnen wie die Sängerin Elisa­beth Kulman erklären, dass der Fall Domingo sich nicht mit dem Fall Gustav Kuhn verglei­chen lasse, auch, weil Domingo glaub­haft Erkenntnis zeige – die Absagen seiner Konzerte hält Kulman für über­trieben. 

TRAUT­MANN HAKT NACH

Vor zwei Wochen haben wir an dieser Stelle berichtet, dass Naxos-Gründer Klaus Heymann nicht versteht, dass Amazons Smart-Laut­spre­cher Alexa in erster Linie Musik der Deut­schen Gram­mo­phon und dessen Universal-Kosmos inklu­sive der DECCA spielt. DG-Chef Clemens Traut­mann hakte auf unseren Bericht hin bei Heymann persön­lich nach. Der schickte dem DG-Kollegen prompt eine Liste mit Titeln, die seine Alexa ausspuckt, wenn er sie bittet, „klas­si­sche Musik“ zu spielen. Der DG-Schwer­­punkt der Stücke ließ den -Chef fragen „Alles nur Zufall oder Algo­rithmus?“. Hier die Top 14 von Heymanns „Alexa“-Klassik: 1. Yiruma, 2. Einaudi (DECCA), 3. Mozart Clarinet Concerto (from a „Dinner“ compi­la­tion), 4. Einaudi (DECCA), 5. Bach (DG), 6. Beet­hoven (DG), 7. Einaudi, 8. Mozart Klavier­kon­zert Brendel (Decca), 9. Mozart Violin­kon­zert (DG), 10. Bach Oboe (DG), 11. Bach,  (DG), 12. Bach, Mutter (DG), 13. Chopin (DG), 14. Mozart (DG). 

AUF UNSEREN BÜHNEN 

Bereits letzte Woche haben wir über erste Ergeb­nisse der -Thea­ter­um­frage berichtet. Nun geht es weiter: Die Bühnen in  und  wollen gesell­schafts­po­li­ti­sche Verän­de­rungen aktiv begleiten und sich einmi­schen: 31 von 32 Inten­danten spra­chen sich für einen Aktua­li­täts­bezug gegen­über Rechts­po­pu­lismus oder digi­talen Medien aus. +++ Im letzten News­letter haben wir auch über die Umwand­lung des Kultur­sen­ders des Hessi­schen Rund­funks berichtet – Jürgen Kaube von der FAZ ordnet die aktu­elle Lage nun in einem bissigen Text ein: Das Vorgehen des hr zeuge von Verach­tung – „für die Kultur, die Mitar­beiter und die Beitrags­zahler“. 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Jonas Kauf­mann fand sich diese Woche unter dem Fehler­teu­fel­chen der Süddeut­schen Zeitung wieder. Die hatte nämlich behauptet, es sei allge­mein bekannt, dass  und Kauf­mann sich einer Stim­m­­band-OP unter­zogen hätten. Dem sei nicht so, ließ der Münchner Tenor die SZ und ihre Leser nun per Gegen­dar­stel­lung wissen. +++ Auck­land in Neusee­land hat sein Musik­theater in das Kiri Te Kanawa Theater umbe­nannt – und setzt der bekann­testen Sängerin des Landes damit ein Denkmal. +++ Der türki­sche Pianist Fazıl Say hat in einem Wald der Provinz Canak­kale im Nord­westen der mit einem Konzert gegen die Abhol­zung des Wald­ge­biets demons­triert. Er spielte ein eigens für den bedrohten Wald kompo­niertes Werk. +++ Die frist­lose Entlas­sung der Leiterin des Tanz­thea­ters Adolphe Binder, war unrecht – das befand nun das Arbeits­ge­richt in Düssel­dorf. Binder ist damit offi­ziell noch immer künst­le­ri­sche Leiterin des Ensem­bles. +++ Der Erbauer der neuen Orgel der Frau­en­kirche, Daniel Kern, ist über­ra­schend mit 69 Jahren gestorben. +++ Im Alter von 85 Jahren verstarb der Diri­gent und Chor­spe­zia­list Helmuth Froschauer. Er war Mitar­beiter Herbert von Kara­jans und Chef­di­ri­gent des WDR Rund­funk­or­ches­ters

WAS LOHNT

Ich habe Marie-Luise und Chris­toph Dingler, die „Twio­lins“, bei einem Dreh über die musi­ka­li­sche Land­schaft des Rheins in Mann­heim kennen­ge­lernt. Was die beiden neben ihren Geigen-Duo-Auftritten an den Start bringen, ist faszi­nie­rend. Inzwi­schen orga­ni­sieren sie bereits den vierten „Progres­sive Clas­sical Music Award“, in dem sich 344 neue, maximal fünf­mi­nü­tige Kompo­si­tionen aus 50 Nationen für zwei Geigen dem Wett­be­werb stellen. Die Dinglers suchen neue, span­nende und „andere“ Musik für zwei Geigen – zeit­ge­mäße Kompo­si­tionen. Eine Fach­jury aus Julian RachlinAleksey Igudesman und Bene­dikt Brydern hat sechs Fina­listen ausge­wählt, und ab sofort liegt es in der Hand des Publi­kums, wer den Preis und die Preis­gelder in Höhe von 11 000 Euro am 28. September in Mann­heim gewinnt. Die Veran­stal­tung aus dem Museum Welt­kul­turen Mann­heim wird ab 20 Uhr gegen eine Gebühr auch live im Internet gestreamt. Ein Online-Voting ist aller­dings nicht möglich.

In diesem Sinne, stimmen Sie ab, und halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons