Kurt Weill Fest Dessau
„Wach auf, du verrotteter Christ!“
von Ruth Renée Reif
8. Februar 2018
Das 26. Kurt Weill Fest Dessau feiert in 48 Veranstaltungen das pulsierende Musikleben der Berliner 20er-Jahre.
„Hast du eigentlich die Dreigroschenoper schon gesehen? Es ist wirklich ein schönes Stück und sicher das beste, was mir bisher gelungen ist“, freute sich Kurt Weill über den Riesenerfolg und die Beifallsstürme, die ihm die neuerliche Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht bescherte. Unter Hochdruck hatten die beiden im südfranzösischen Saint-Cyr an dem Werk gefeilt. Weill suchte, zu einer Urform von Oper zu gelangen, leicht sangbar und mit fasslicher Melodik. Was er schuf, war ein neues Genre des musikalischen Theaters.
„Weill auf die Bühne!“ lautet denn auch das Motto des Kurt Weill Fests Dessau. Anlässlich der 90. Wiederkehr seiner Uraufführung kommt das Stück um die glückliche Errettung des Londoner Straßenräubers Macheath, genannt Mackie Messer, den sein Schwiegervater, der Bettlerkönig Peachum, an den Galgen bringen will, mit dem Anhaltischen Theater zur Aufführung. Festspielintendant Gerhard Kämpfe blickt der Inszenierung erwartungsvoll entgegen: „Mit Ezio Toffolutti, einem Schüler von Benno Besson, konnten wir einen exzellenten Regisseur gewinnen.“ Als „Gegenstück“ zeigt das Festspiel eine zeitgenössische Neufassung jener Beggar’s Opera von John Gay, die Brecht und Weill als Vorlage diente. Moritz Eggert schrieb eine Musik mit zahlreichen Anspielungen an bekannte Titel aus dem Great American Songbook wie I Wanna Be Loved by You von Herbert Stothart, Harry Ruby und Bert Kalmar, Diamonds are a Girl’s Best Friend von Jule Styne und Leo Robin oder Tea for the Tillerman von Cat Stevens. Gezeigt wird die fulminante Aufführung von La Bettleropera in einem Gastspiel der Köllner Oper Berlin mit der TanzTheater-Kompagnie Balletto Civile, dem Ensemble Freiraum Syndikat und Moritz Eggert.
Kämpfe leitet das Festspiel in diesem Jahr zum ersten Mal. Als „primus inter pares“, wie er es nennt, steht er in einem vierköpfigen Team. Es sei ein Glücksfall, schwärmt er. Mit Johannes Weigand, dem Generalintendanten des Anhaltischen Theaters und Theatermann mit großer Erfahrung, Markus L. Frank, dem Generalmusikdirektor des Hauses und exzellentem Musiker, sowie dem Kurt-Weill-Spezialisten Jürgen Schebera kämen vier unterschiedliche Qualitäten zusammen. Was Kämpfe, der in Berlin als erfolgreicher Konzertmanager tätig ist und Kontakte zu vielfältigen Künstlern unterhält, bewog, nach Dessau zu kommen, ist die Begeisterung für Weill und „diese unglaublich kreative Zeit der Berliner 20er-Jahre“. Eine kulturelle Explosion habe damals stattgefunden. Sich bei der Planung eines Festivals in diesem Umfeld zu bewegen, sei eine großartige Herausforderung.
Fasziniert ist Kämpfe von der bis heute ungebrochenen Strahlkraft, die Weills Musik besitzt. All die Künstler, mit denen er quer durch die musikalischen Genres gesprochen habe, hätten Weill sofort als anregendes Thema angesehen. „Jeder beschäftigte sich offenbar irgendwann mit der Musik von Kurt Weill.“
Im Eröffnungskonzert spielt der Trompeter Till Brönner, Artist in Residence des Festspiels, mit der Anhaltischen Philharmonie Dessau Auszüge aus der Brecht-Weill-Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny sowie weitere Meisterwerke von der Klassik bis zur Gegenwart. Auch Jan Josef Liefers und seine Band Radio Doria bauen in ihr Song-Programm Weill-Titel ein. Dagmar Manzel erinnert mit ihrem Hollaender-Programm „Menschenskind!“ an die Anfänge des literarisch-politischen Kabaretts in Deutschland, während Jochen Kowalski sich mit dem Salonorchester Unter’n Linden dem Kabarett und dem Film der 20er-Jahre widmet.
48 Veranstaltungen bringen Musik in Theater, Sakralbauten, Museen und historische Stätten von „Cis-Schwein“, wie Weill seine Geburtsstadt scherzhaft nannte, Magdeburg, Halle an der Saale, Wörlitz, Gröbzig und Zerbst. „Wir wollen auch die Herkunft Weills als Sohn einer jüdischen Familie wieder in den Fokus rücken“, betont Kämpfe. Ein Programm geistlicher Musik, das junge Künstler einbindet, führt in die Synagogen von Gröbzig und Halle an der Saale. Und ein Symposium zum 100. Jahrestag der Künstlervereinigung Novembergruppe setzt sich mit der Arbeit der Künstler und Musiker auseinander, die nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches mit ihrer Kunst am Aufbau einer demokratischen Gesellschaft mitwirken wollten. Den krönenden Abschluss der Festspiele bildet der Auftritt von Ute Lemper. Begleitet vom MDR Sinfonieorchester, singt sie die großen Brecht-Weill-Songs aus der Dreigroschenoper und der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny sowie J’attends un navire, in dem die nach Südamerika entführte Marie Galante aus der gleichnamigen Oper ihr Heimweh beklagt.
KURT WEIL FEST DESSAU
23.3.–11.03.18
Informationen und Kartenservice:
Tel.: +49-(0)341–14 990 900
www.kurt-weill.de