KlassikWoche 47/2019

Wagners Wagner und Hinter­häu­sers Salz­burg

von Axel Brüggemann

18. November 2019

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche, heute mit einem Ausblick auf die Fest­spiele in Salz­burg und Bayreuth – und mit der Frage, ob leere Theater-Ränge ein Tabu sein müssen.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit einem Ausblick auf die Fest­spiele in Salz­burg und Bayreuth – und mit der Frage, ob leere Theater-Ränge ein Tabu sein müssen.

WAS IST

100 JAHRE FEST­SPIELE – HINTER­HÄU­SERS TRADI­TION

Markus Hinter­häu­sers Programm der 100. Salz­burger Fest­spiele wirkt fast schon routi­niert. Der Inten­dant, der als ketten­rau­chendes und genia­li­sches Enfant terrible gestartet ist, erkennt, dass der Salz­burger Wider­stand am geringsten ist, wenn man das Bewährte pflegt. In diesem Falle:  für das Volk,  für Helga Rabl-Stadler und Teodor Curr­entzis mit seinem Mozart-Zyklus („Don Giovanni“) als Revo­luzzer-Konstante. Franz-Welser Möst darf seinen Strauss-Zyklus mit „Elektra“ weiter­führen (dieses Mal spielt die große Asmik Grigo­rian eine etwas klei­nere Rolle).  (der diese Woche bei Maybrit Illner Menschen der AfD noch attes­tierte, ihr Mensch­sein verwirkt zu haben) betastet Beet­ho­vens Huma­nismus in den 32 Klavier­so­naten – das hat sonst eher Rudolf Buch­binder über­nommen, der diesen Sommer aber mit einem viel span­nen­deren Projekt, den Diabelli-Varia­­tionen für Gegen­warts­kom­po­nisten, unter­wegs ist. Das Netz fragt bereits, warum man in Salz­burg Visionen predigt und neben Nestlé auch auf Gazprom als Sponsor setzt. Wie auch immer: Curr­entzis, Levit, Welser-Möst – die Salz­burger Visionen von Markus Hinter­häuser sind eigent­lich längst schon die Pflege seiner eigenen Tradi­tion.

Fanny & Felix Mendels­sohn: Zwei Leben für die Musik!

Diese lebendig erzählte Hörbio­grafie mit zahl­rei­chen Musik­bei­spielen verknüpft die Lebens­ge­schichten der beiden Geschwister Mendels­sohn. Zu den Erzäh­lern gehören u.a. und Udo Wacht­veitl.

WEITER FÜR WAGNER

Bereits in den letzten Wochen war an dieser Stelle zu lesen, dass die Vertrags­ver­län­ge­rung von Katha­rina Wagner als Leiterin der Bayreu­ther Fest­spiele über weitere fünf Jahre nur eine Frage der Zeit war. Nun haben die Gremien der Bayreu­ther Fest­spiele GmbH ihre Entschei­dung bekannt gegeben. Dass es am Ende so lange dauerte, scheint daran gelegen zu haben, dass der Vertrag bei Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grüt­ters hängen geblieben ist. Bayerns Kultur­staats­mi­nister Bernd Sibler erklärte: „In den vergan­genen elf Jahren hat Katha­rina Wagner als Fest­spiel­lei­terin die Richard-Wagner-Fest­­spiele konse­quent und künst­le­risch weiter­ent­wi­ckelt.“ Der Vertrag mit der Gesell­schaft soll in den kommenden Tagen unter­schrieben werden. Auch diese Woche gibt es noch keine Anzei­chen dafür, dass der Vertrag von Chris­tian Thie­le­mann als Musik­di­rektor der Fest­spiele eben­falls verlän­gert wird – es bleibt span­nend. Thie­le­mann wird in seinem wohl letzten Silvester-Konzert im übri­gens Ausschnitte aus Lehárs „Land des Lächelns“ diri­gieren.

KLANG­EX­PE­RI­MENT WUNDER­HARFE

Über ein span­nendes Forschungs­pro­jekt berichtet die NZZ: Der Musik­wis­sen­schaftler Michael Heine­mann will heraus­finden, wie ein typi­scher Orches­ter­klang entsteht. Als Forschungs­ob­jekt hat er Wagners „Wunder­harfe“, die Staats­ka­pelle  ausge­sucht. „‚Wir wollen Klang­for­schung in histo­ri­schem Sinne betreiben‘, sagt Heine­mann. Alle Welt rede vom Klang der Staats­ka­pelle Dresden, der Diri­gent habe ihn mit ‚Glanz von altem Gold‘ vergli­chen. ‚Viele behaupten, dass sich dieser Klang über die Jahr­hun­derte nicht verän­dert habe. Aber kann das über­haupt sein, wenn sich Spiel­weisen und auch die Instru­mente ändern?«, fragt der Professor. Das Problem bestehe nicht zuletzt darin, dass es Tondo­ku­mente in Form von Schall­platten erst seit etwa 130 Jahren gibt. Der grös­sere Teil der Kapell­his­torie bleibe aber dennoch nicht ‚unge­hört‘.“

EHRE FÜR JESSYE NORMAN

Das gab es bisher nur für Giacomo Puccini, Enrico Caruso, Luciano Pava­rotti und Beverly Sills – nun wird es auch für  eine Gedenk­ver­an­stal­tung an der MET in geben. Die Sängerin, die am 30. September gestorben ist, wird am 24. November mit musi­ka­li­schen Einlagen, Videos und Reden geehrt. Noch scheint keine Kino-Über­­­tra­­gung geplant zu sein. 

WAS WAR

WO IST DAS PUBLIKUM?

Gestern bin ich über einen Face­­book-Post der Kollegin Bettina Volks­dorf gestol­pert – sie war in einer Reper­­toire-Vorfüh­rung der Oper Halle. Gegeben wurde die durchaus anstän­dige Auffüh­rung der „Ariadne auf Naxos“ in der Regie von Paul-Georg Dittrich. Volks­dorf zählte maximal 70 Zuschauer (!) und fragte nach dem „Warum?“ (mit den aktu­ellen anti­se­mi­ti­schen Ausfällen eines Stadt­rats im Aufsichtsrat des Thea­ters hat das hier nichts zu tun). Was Volks­dorf beschreibt, ist kein Einzel­fall. Wer in deut­sche Stadt­theater geht, kennt das Bild. In meiner Heimat­stadt kommt es eben­falls vor, dass in Reper­­toire-Opern-Auffüh­rungen zuweilen weniger als 100 Leute sitzen. Und – das sagt auch Volks­dorf – es liegt nicht immer an der Qualität der jewei­ligen Insze­nie­rungen. Trotzdem sind leere Ränge ein Tabu: Darüber spricht man nicht. Diese Abende werden vertuscht. Inten­danten rechnen ihre Bilanzen schön, indem sie Ränge schließen und dadurch die Auslas­­tungs-Prozente stei­gern. Warum werden wir nicht wieder ehrli­cher: Fakt ist, Oper begeis­tert offen­sicht­lich nicht jeden Tag an jedem Ort glei­cher­maßen. Sie steht in andau­ernder Konkur­renz zu anderen (neuen) Ange­boten. Und manchmal gelingt es ihr eben nicht, Publikum zu locken. Mal, weil die Häuser sich elfen­bein­haft der Publi­kums­rea­lität verwei­gern, manchmal aber auch nur, weil es gerade ein blöder Abend ist. Ein leeres Theater sollte grund­sätz­lich keine Schande sein, wohl aber Anlass für Debatten – auf keinen Fall sollte es totge­schwiegen werden.

PROBLEME BEI DER SANIE­RUNG IN KÖLN

Im Kölner Stadt­an­zeiger berichtet Tim Atten­berger über weitere Probleme bei der Sanie­rung der Kölner Oper: „Die Sanie­rung des Opern­hauses am Offen­bach­platz wird sich nach derzei­tigem Stand um insge­samt zehn Wochen verzö­gern. Wie die städ­ti­schen Bühnen am Donnerstag mitteilten, gibt es erneut Probleme mit der Planung der Haus­technik. Die Ursache sei das „unge­wöhn­lich hohe Ausmaß der plane­ri­schen Nach­ar­beiten“. Das Inge­nieur­büro Innius RR, das die Haus­technik seit Ende 2017 neu plant, hat offenbar noch nicht für alle Probleme eine Lösung gefunden.

MUSIK-QUALI­­TÄTS­­SIEGEL DEUTSCH­LAND

Im Rahmen der ARD-Themen­­­woche war ein span­nender Text über die auslän­di­schen Studie­renden an deut­schen Musik­hoch­schulen bei der Deut­schen Welle zu lesen: „Jeder zweite Studie­rende an einer deut­schen Musik­hoch­schule kommt aus dem Ausland. Wer hier sein Konzert­ex­amen macht, hat auf dem inter­na­tio­nalen Markt gute Chancen. Doch der Weg dahin ist nicht einfach.“ 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Dennis Russell Davies wird 2020 Chef­di­ri­gent des MDR-Sinfo­nie­or­ches­ters. Der Sender stellt den Neuen vor und erklärt, warum mit Davies viel neues Reper­toire zu erwarten ist. +++ Heidel­bergs GMD, , verlän­gert seinen Vertrag bis 2024. +++ Volker Blech schreibt in der Morgen­post ein schönes Porträt über die Kultur­ma­na­gerin und Leiterin der Musik­hoch­schule in Berlin, Sarah Wedl-Wilson, und über ihre Rolle als „Königs­ma­cherin“: „Sie war in London, bei der Came­rata Salz­burg, an der Kölner Phil­har­monie oder künst­le­ri­sche Leiterin auf Schloss Elmau. Zuletzt war sie Vize­rek­torin am Mozar­teum Salz­burg und dann Inte­rims­lei­terin. Seit Ende 2018 ist sie als Head­hun­terin unter­wegs gewesen – eine Königs­ma­cherin im inter­na­tio­nalen Kultur­be­trieb. Worüber sie nicht weiter redet, sie ist von freund­li­cher Diskre­tion.“ +++ Lust auf ein ausge­ruhtes und kluges Inter­view, dann empfehle ich heute die Kollegen von van, die sich mit  darüber unter­halten haben, warum Wagner einfach an allem Schuld ist. +++ Der Fall Sieg­fried Mauser hat uns hier schon einige Wochen begleitet – nun findet Kia Vahland in der SZ so etwas wie ein Schluss-Resümee: Kultur­schaf­fende, die Mauser auch weiterhin unter­stützen, führen die Mecha­nismen des kollek­tiven Täter­schutzes vor.

AUF UNSEREN BÜHNEN

Ute Schalz-Laurenze feiert Marysol Scha­lits Bremer Alcina und den Regis­seur Michael Talke: „… da zeigt Händel uns unser ganzes Leben mit faszi­nie­rend psycho­lo­gi­scher Genau­ig­keit. Und damit ist Talke ein wunder­barer Coup gelungen, die krause Geschichte aus ihrer unwirk­li­chen Fantastik heraus­zu­holen und den realen Verfall einer alternden Frau in ihrer ganzen Tragik zu zeigen.“ +++ Uwe Fried­rich berichtet im BR über „Heart Chamber“, ein Auftrags­werk der Deut­schen Oper Berlin an die ameri­­ka­­nisch-israe­­li­­sche Kompo­nistin Chaya Czer­nowin: „Seit ihrem Opern­debüt bei der Münchener Bien­nale im Jahr 2000 arbeitet die in Haifa gebo­rene Czer­nowin mit dem Regis­seur  zusammen, der ihren intel­lek­tuell durch­drun­genen, sehr abstrakten Kompo­si­tionen ein realis­ti­sches Bühnen­ge­schehen entge­gen­setzt.“ +++ Als Insze­nie­rung für die Kassen versteht Robert Braun­müller in der „Abend­zei­tung“ die „Tosca“ am Münchner Gärt­ner­platz­theater mit  am Pult und in der Regie von Stefano Poda. +++ Ich selber war diese Woche unter anderem bei der Première von Spon­tinis „Vestalin“ am Theater an der . Ein Triumpf für die Sopra­nistin  als junge Vestalin Julia, etwas lang­weilig geschlagen von Bert­rand de Billy. Zu den Gästen gehörten neben  (der in der nächsten Première am 15. Dezember in der polni­schen Opern-Trou­­vaille „Halka“ zu hören sein wird) auch der desi­gnierte Staats­­­o­pern-Inten­­dant Bogdan Roščić

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons