Jonas Kaufmann
„Wer ein solches Weib errungen“
von Ruth Renée Reif
3. März 2020
Mit Jonas Kaufmann als Florestan und Lise Davidsen als Fidelio kommt Beethovens Fidelio aus dem Royal Opera House London in die deutschen Kinos.
Mit Jonas Kaufmann als Florestan und Lise Davidsen als Fidelio kommt Beethovens Fidelio am 17. März 2020 aus dem Royal Opera House London live in die deutschen Kinos.
In einer großartigen Neuinszenierung mit herausragender Besetzung wird Beethovens einzige Oper aus dem Royal Opera House in die deutschen Kinos übertragen. Die Première (Foto oben: © Bill Cooper / Royal Opera House) und alle Folgeaufführungen in London waren bereits lange im Vorfeld ausverkauft. Tobias Kratzer setzt das Werk mit Antonio Pappano am Pult in Szene.
Eine Parabel über politisches Engagement
Trailer zu Fidelio mit Jonas Kaufmann und Lise Davidsen am Royal Opera House
Kratzer ist es in seiner Inszenierung darum zu tun, Beethovens idealistische Botschaft wieder glaubhaft werden zu lassen und der Frage nachzugehen, welche Bedeutung den Idealen heute noch zukommt.
Tobis Kratzer bringt Fidelio als Parabel über politisches Engagement auf die Bühne des Royal Opera House
(Foto: © Lara Cappelli /Royal Opera House)
Als eine Parabel über politisches Engagement bringt er die Oper auf die Bühne. In zwei Hälften zerfalle sie, betont Kratzer. Und auf diesen ästhetischen Bruch lässt er sich mit seiner Inszenierung ein.
Tobias Kratzer verlegt in seiner Inszenierung am Royal Opera House den Schauplatz von Fidelio wieder zurück nach Frankreich.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Den Schauplatz der Oper, die aus Gründen der Zensur bei Beethoven in Spanien spielen musste, verlegt Kratzer wieder zurück nach Frankreich.
Frankreich während des nachrevolutionären Terrors
Der erste Akt spielt in seiner Inszenierung in einem französischen Gefängnis am Höhepunkt des nachrevolutionären Terrors. Es ist ein alptraumhafter Platz, auf dem Wächter Massenhinrichtungen überwachen. Frauen wie Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters, erhalten nur Zutritt, um die abgeschlagenen Köpfe der Toten einzusammeln.
Amanda Forsythe als Marzelline, die als Tochter des Kerkermeisters ein Auge auf Fidelio geworfen hat
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Am Beginn steht eine häusliche Szene: Der Pförtner Jaquino ist in Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters Rocco, verliebt. Im Duett „Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein“ malt er ihr eine gemeinsame Zukunft aus.
Lise Davidsen als Fidelio in Tobias Kratzers Inszenierung am Royal Opera House
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Marzelline aber interessiert sich für einen jungen Mann, namens Fidelio, der seit einiger Zeit als Gehilfe ihres Vaters arbeitet. Ihre Arie: „O wär ich schon mit dir vereint“
Georg Zeppenfeld als Kerkermeister Rocco, der Lise Davidsen als Fidelio seiner Tochter zum Mann geben möchte.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Rocco hat gemerkt, dass seine Tochter ein Auge auf Fidelio geworfen hat. Er glaubt, dass Fidelio sich ebenfalls in seine Tochter verliebt hat. Fidelio, der in Wirklichkeit Leonore ist, die ihren Gatten im Gefängnis vermutet, kommt mit Einkäufen aus der Stadt. Als auch Jaquino hinzutritt, entsteht eine seltsame Stimmung: Quartett „Mir ist so wunderbar“
Rocco erklärt offen, dass Marzelline und Fidelio ein Paar werden könnten. Es fehle ihnen nur noch Geld: Gold-Arie „Hat man nicht auch Gold daneben“
Tobis Kratzer lässt Merzelline früh erkennen, dass Fidelio in Wirklichkeit eine Frau ist.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Kratzer lässt in seiner Inszenierung Marzelline schon bald das wahre Geschlecht von Fidelio erkennen.
Amanda Forsythe als Marzelline und Lise Davidsen als Fidelio / Leonore
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Fidelio / Leonore bittet Rocco, ihn zu den Gefangenen begleiten zu dürfen. Rocco stimmt zu. Aber einen Gefangenen darf niemand sehen.
Gerade den jedoch will Fidelio / Leonore sehen. Marzelline ist dagegen. Aber Rocco gibt nach: Terzett „Gut, Söhnchen, gut“
Simon Neal als Don Pizarro kommt hoch zu Ross auf die Bühne geritten, um Florestan töten zu lassen.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Don Pizarro, der Gouverneur des Gefängnisses, erscheint. Rocco übergibt ihm einen Brief. In dem steht, dass der Minister kommen werde, das Gefängnis zu besuchen. Für Pizarro heißt das, dass Florestan, sein verhasster Feind, sterben muss: Arie „Ha, welch ein Augenblick“
Simon Neal als Pizarro fordert den Kerkermeister Rocco auf, Florestan zu töten.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Pizarro braucht für den Mord Roccos Hilfe: Duett „Jetzt, Alter, hat es Eile“
Lise Davidsen als Fidelio will Georg Zeppenfeld als Kerkermeister Rocco hindern, den Mord an Florestan zu begehen.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Rocco weigert sich, den Mord zu begehen. Er soll aber wenigstens das Grab ausheben. Fidelio / Leonore hat das Gespräch belauscht: Arie „Abscheulicher, wo eilst du hin?“
Sie will den Mord verhindern. Zunächst erreicht sie bei Rocco, dass die Tore des Gefängnisses geöffnet werden. Die Gefangenen taumeln beglückt ins Freie: Chor „O welche Lust“
Der Chor als schweigende Masse
Antonio Pappano dirigiert Fidelio am Royal Opera House
(Foto: © Musacchio & Ianniello / EMI)
Den Zweiten Akt, in dem Kratzer die Frage nach der Gegenwart stellt, verlegt er in einen hellerleuchteten Salon. Der Chor in zeitgenössischer Kleidung sitzt durchgehend auf der Bühne und folgt als schweigende Masse dem Geschehen. Videoprojektionen zeigen seine Reaktionen und seine Angst davor, sich politisch zu engagieren und einzugreifen.
Jonas Kaufmann als Florestan
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Florestan ist im tiefsten Kerker an einen Stein gekettet: Arie „Ach, welch Dunkel hier!“
Einzig der Gedanke an seine Gattin Leonore, die ihm wie ein Engel erscheint, hält ihn am Leben. Es kommen Rocco und Fidelio / Leonore, um das Grab für ihn zu schaufeln: Duett „Nur hurtig fort und frisch gegraben“
Lise Davidsen als Fidelio versucht zu erkennen, ob der Mann im Kerker Florestan ist.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Fidelio / Leonore versucht, in der Dunkelheit das Gesicht des Gefangenen zu sehen und erkennt ihren Mann.
Lise Davidsen als Fidelio reicht Jonas Kaufmann als gefangenem Florestan im Kerker zu trinken
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Sie bringt ihm Brot und Wein. Aber er weiß nicht, wer sie ist: Terzett „Euch werde Lohn in bess’ren Welten“
Simon Neal als Pizarro kündigt Florestan seinen Tod an.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Pizarro kommt in den Kerker hinunter. Er gibt sich Florestan erkennen und kündigt ihm seinen Tod an: Quartett „Er sterbe!“
Als Pizarro jedoch den Dolch zückt, wirft sich Fidelio / Leonore dazwischen: „Töte erst sein Weib!“
Es sucht der Bruder seine Brüder
Da ertönt ein Trompetensignal. Der Minister ist gekommen. Pizarro geht nach oben. Leonore und Florestan sinken sich in die Arme: Duett „Namenlose Freude“
Das Volk und die Gefangenen sind versammelt. Der Minister kommt mit einem Bekenntnis zur Menschlichkeit: „Es sucht der Bruder seine Brüder“
Lise Davidsen als Fidelio / Leonore mit Jonas Kaufmann als Florestan, den sie vor dem Tode gerettet und aus dem Kerker befreit hat
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Rocco bringt Leonore und Florestan, in dem der Minister einen alten Freund wiedererkennt. Leonore nimmt ihrem Mann die Ketten ab. Und alle stimmen in Florestans Gesang ein: „Wer ein solches Weib errungen“
Tobis Kratzer lässt die stummen Reaktionen des Chores auf die Bühne projizieren. Erst als alle Gefangenen befreit sind, stimmt der Chor in den Jubel ein.
(Foto: © Bill Cooper / Royal Opera House)
Erst an dieser Stelle der Handlung, als alle Gefangenen und Florestan befreit sind, lässt Kratzer „die schweigende Masse“ in Gestalt des Chores in den Jubel einstimmen.
Fidelio – ein Work-in-Progress
Beethoven rang lange mit seinem Stoff. Es bedurfte vieler Umarbeitungen, bis das Werk seine Form fand. Kratzer nennt es denn auch ein Work-in-Progress.
Auf den Dichter und Dramatiker Franz Grillparzer griff Tobias Kratzer bei der Überarbeitung der Sprechtexte des Librettos zurück.
Für seine Inszenierung hat er die gesprochenen Dialoge der Oper mit Texten von Georg Büchner und Franz Grillparzer ergänzt. Wie er betont, habe sich Beethoven immer ein Libretto von Grillparzer gewünscht, dem allerdings nur blieb, die Grabrede für ihn zu halten.
Erste uninspirierte Kompositionsversuche
Emmanuel Schikaneder befand sich mit seinem Theater an der Wien in ständiger Konkurrenz zum Kärntnertortheater, einem der beiden Hoftheater, die unter der Pachtdirektion von Peter Baron Braun standen. 1803 verpflichtete Schikaneder Beethoven zur Komposition einer Oper und verschaffte ihm ein Libretto mit dem Titel Vestas Feuer. Beethoven konnte damit allerdings nichts Rechtes anfangen. Er komponierte daraus nur eine Szene.
Der Text von Jean-Nicolas Bouilly, der während der Französischen Revolution als Staatsanwalt und Richter tätig war, gefiel Beethoven.
Im Jahr darauf erwarb Baron Braun das Theater an der Wien und damit auch den Opernvertrag mit Beethoven. Er schickte Beethoven ein Libretto, das diesem weit mehr zusagte. Es handelte sich um einen Text von Jean-Nicolas Bouilly. Dieser war während der Französischen Revolution als Staatsanwalt und Richter tätig gewesen.
Mit heldenhaften Frauen ist der gefunden
Über den heldenhaften Einsatz von Frauen für ihre verurteilten Männer, den er in dieser Zeit erlebt hatte, schrieb er zwei Dramen. Das eine Les deux journées veroperte 1800 Luigi Cherubini. Auf Deutsch wurde es unter dem Titel Der Wasserträger bekannt. Das andere war Léonore ou l’amour conjugal und wurde 1798 von Pierre Gaveaux vertont.
Zu Beethovens Zeit komponierte Ferdinando Paёr den Dramenstoff. Man kann annehmen, dass Beethoven Paёrs Leonora aus dem Jahr 1804 dann auch kennenlernte. Denn die Oper, die in Dresden zur Uraufführung kam, wurde 1809 in Wien gezeigt.
Joseph Ferdinand Sonnleithner erstellte das erste Libretto für Beethoven
Auch Beethovens inspirierte Bouillys Sujet. Der Hoftheatersekretär Joseph Ferdinand Sonnleithner, ein Verwandter des Dichters und Dramatikers Franz Grillparzer, übersetzte und bearbeitete Bouillys Stück für ihn.
Die Form muss noch gesucht werden
Beethoven komponierte die Oper zwischen seiner Dritten und Vierten Sinfonie. Er rang schwer um eine theatergerechte Form. 1805 aber schloss er die Arbeit ab. Aufgrund von Paёrs Oper musste der Titel zu Beethovens Kummer in Fidelio oder Die eheliche Liebe abgeändert werden. Der Name „Fidelio“ für die als Mann verkleidete Frau stammt aus Shakespeares Drama Cymbeline.
Dirigierte die Uraufführung von Fidelio am Theater an der Wien: Ignaz von Seyfried
Die Uraufführung am Theater an der Wien verzögerte sich allerdings. Es gab Schwierigkeiten mit der Zensur. So erfolgte die Aufführung, die der Komponist und Dirigent Ignaz von Seyfried einstudiert hatte, erst eine Woche nach dem Einzug Napoleon I. in Wien. Das war eine unglückliche Situation. Denn Adel und Mäzene waren geflohen, und im weitgehend leeren Zuschauerraum saßen nur französische Offiziere, die nichts verstanden.
Die Uraufführung unter unglücklichen Umständen
Am 21. November 1805 dirigierte Beethoven sogar selbst, was aber an der Aufnahme nichts änderte. Nach der dritten Aufführung zog Beethoven das Werk zurück.
Beethovens Freund, der Beamte Stephan von Breuning, straffte den Libretto-Text
Freunde regten Beethoven zu Änderungen und Kürzungen an. Insbesondere zur Kürzung des ersten Aktes rieten sie. Beethovens Freund Stephan von Breuning straffte das Libretto und teilte es in zwei Akte. Arien fielen weg, übrige Nummern wurden gekürzt. Dafür komponierte Beethoven einen Marsch hinzu.
Die Uraufführung der zweiten Fassung
Umgearbeitet hat Beethoven auch die Ouvertüre. Im März 1806 kam, wieder von Seyfried einstudiert, diese zweite Fassung zur Aufführung. Sie hatte zwar Erfolg, wurde jedoch nur einmal wiederholt. Der Grund waren vermutlich Streitigkeiten wegen der Tantiemen.
Der Opernregisseur Georg Friedrich Treitschke wurde von Beethoven dazu ausersehen, das Fidelio-Libretto zu überarbeiten.
Beethoven bestand auf Änderungen des Textes. Der Opernregisseur Georg Friedrich Treitschke sollte diese Änderungen vornehmen. „… die Oper erwirbt mir die Märtyrerkrone. Hätten Sie nicht sich so liebe Mühe damit gegeben, und so sehr vorteilhaft alles bearbeitet, wofür ich Ihnen ewig danken werde, ich würde mich kaum überwinden können. Sie haben dadurch auch einige gute Reste von einem gestrandeten Schiff gerettet“, schrieb Beethoven an Treitschke, als er das neue Textbuch vor sich hatte. Er drückte damit auch seine Überwindung aus, sich die Oper nach der Uraufführung seiner Achten Sinfonie noch einmal vorzunehmen.
Beethoven nahm eine rigorose Umarbeitung vor
Das Theater an der Wien, in dem die Uraufführung von Beethovens Fidelio stattfand
In der Folge unterzog er die Musik einer rigorosen Umarbeitung. Die Gold-Arie des Kerkermeisters Rocco, die er bei seiner ersten Überarbeitung gestrichen hatte, fügte er wieder ein. Das Duett „Um in der Ehe froh zu leben“ und das Terzett „Ein Mann ist bald genommen“ nahm er dagegen raus. Das Duett „Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein“ setzte er vor Marzellines Arie an den Beginn. Und auch eine neue Ouvertüre schrieb er. Dem zweiten Finale gab Beethoven ein neues Bild: Paradeplatz des Schlosses.
Wilhelmine Schröder-Devrient als Fidelio bescherte der Oper den Durchbruch
Mitte April 1814 begannen die Proben. Die Aufführung dirigierte Beethoven selbst. Und diesmal war der Erfolg außergewöhnlich und andauernd.
Mit Wilhelmine Schröder-Devrient wurde die Fidelio zu einer der großen Heldenfiguren der Operngeschichte.
Ihren Durchbruch erfuhr die Oper, als im November 1822 die noch nicht 18-jährige Wilhelmine Schröder-Devrient als Leonore am Hoftheater, dem Kärntnertortheater, auftrat. Allerdings war, wie der Musiker und Musikschriftsteller Anton Schindler mitteilte, Beethovens Ideal keine Opernheldin. Die Rolle wurde dennoch so gesehen.
Das King’s Theatre am Haymarket in London, in dem Wilhelmine Schröder-Devrient 1832 die Titelpartie in Beethovens Fidelio sang
Schröder-Devrient sang die Partie unter anderem 1830 in Paris und 1832 in London. Am 18. Mai 1832 am King’s Theatre am Haymarket und am 12. Juni 1835 in Covent Garden. Hector Berlioz schrieb für den Rénovateur zwei Kritiken darüber.
Alle Informationen über die Kinoübertragungen: www.rohkinotickets.de
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