KlassikWoche 17/2021

Antwort der Klassik: Die sind doch alle nicht ganz dicht.

von Axel Brüggemann

26. April 2021

Antwort auf #allesdichtmachen mit #bleibenwirmenschlich

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einer Sonder­aus­gabe: Die Klassik reagiert mit einem eigenen Hashtag auf #alles­dicht­ma­chen. Ihr Motto: #blei­ben­wir­mensch­lich.

#BLEI­BEN­WIR­MENSCH­LICH

Als Ende der Woche die Kampagne #alles­dicht­ma­chen heraus­ge­kommen ist, in der deut­sche TV-Stars in schlech­tester Til-Schweiger-Manier mit Kartoffel-Humor und verun­glücktem Zynismus Corona-Witz­chen gemacht haben, standen bei mir Telefon, Mailbox und Post­kasten nicht mehr still. Die großen Stars der Klassik wollten auch dabei sein, Mozart persön­lich schrieb mir, „denen fehlt der Huma­nismus“, vermisste in den Künstler-Lofts den Blick auf das wahre Leben, und faxte mir, dass man die Deut­schen Meister doch bitte anders feiern müsse. Gemeinsam haben die 50 Klassik-Künstler als Reak­tion den Hashtag #blei­ben­wir­mensch­lich gegründet – hier der exklu­sive Vorab­druck der Forde­rungen: 

Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Merkt Ihr es nicht, in dieser Zeit fehlen vor allen Dingen Gott­ver­trauen und eine vernünf­tige Ordnung der Dinge. +++ Mein Name ist Béla Bartók, ich bin Kompo­nist: Der Weg zur siebten Türe führt durch den Tränensee. +++ Mein Name ist Ludwig van Beet­hoven, ich bin Kompo­nist: Vergessen wir in diesen Tagen doch bitte nicht, dass wir alle Brüder sind. +++ Mein Name ist Alban Berg, ich bin Kompo­nist: Wir dürfen nicht zulassen, dass Wozzeck und andere Hartz IV-Empfänger über­pro­por­tional oft an Corona erkranken. +++ Mein Name ist Leonard Bern­stein, ich bin Kompo­nist: Wir dürfen nicht vergessen, bei Jets und Sharks explo­dieren die Hormone derzeit in Zwei-Zimmer­woh­nungen, keep cool, boy! +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Merde – le virus est un oiseau rebelle. +++ Mein Name ist Johannes Brahms, ich bin Kompo­nist: Leute, eine Pandemie ist mehr als ein Deut­sches Requiem. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Corona darf sich nicht wie eine Schraube in die Kinder­seelen drehen. +++

Mein Name ist Anton Bruckner, ich bin Kompo­nist: Unter­schätzen wir die Leiden der einsamen Psyche nicht, ich weiß, wovon ich rede. +++ Mein Name ist John Cage, ich bin Kompo­nist: Hey Jan Josef, 4′33″ schweigen ist besser als dauernd Scheiße labern. +++ Mein Name ist Claude Debussy, ich bin Kompo­nist: Trotz aller Ausgangs­be­schrän­kungen, jeder hat das Recht, im Monden­schein zu joggen. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Astra­Ze­neca ist unser wahrer Liebes­trank. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Corona ist kein -Virus, sondern ein Welt­weit-Virus. +++ Mein Name ist Antonín Dvořák, ich bin Kompo­nist: Viel­leicht steht am Ende von allem eine bessere, neue Welt. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Habt Mut, wir sind schon einmal aufer­standen aus Ruinen. +++ Mein Name ist Edward Elgar, ich bin Kompo­nist und Fußball-Fan: Ich wünsche mir briti­schen Prag­ma­tismus auch für und den Opern­häu­sern so viel Lobby wie den Stadien der Euro­pa­meis­ter­schaft. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Leute, haltet durch, es ist fast Summer­time! +++ Mein Name ist Philip Glass, ich bin Kompo­nist: Viren sind wie Minimal Music – kleiner Keim, großer Effekt! +++ Mein Name ist Chris­toph Willi­bald Gluck, ich bin Kompo­nist: Lassen wir uns nicht von der Unter­welt verlo­cken, schauen wir nach vorn und nicht zurück! +++ Mein Name ist Georg Fried­rich Händel, ich bin Kompo­nist: Um einen Triumph von Zeit und Wahr­heit zu feiern, brau­chen wir keinen Tatort-Messias, sondern normalen Menschen­ver­stand. +++ Mein Name ist Joseph Haydn, ich bin Kompo­nist: Wir brau­chen weniger Streich-Kultur und mehr Streich­quar­tett! +++ Mein Name ist Hans Werner Henze, ich bin Kompo­nist: Vergessen wir jene auf dem Boule­vard der Einsam­keit nicht. +++ Mein Name ist Leoš Janáček, ich bin Kompo­nist: Wir müssen gemeinsam kämpfen, damit die Welt nicht zum Toten­haus wird. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Ein Quer­denker segelt nicht mal unter der Pira­ten­flagge. +++ 

Wie schafft man es, sich von Corona nicht unter­kriegen zu lassen?
Arnt Cobbers fragt nach. Bei Boian Videnoff und Michael Wende­berg.

Mein Name ist Ruggero Leon­ca­vallo, ich bin Kompo­nist: Öffnen wir die Bühne für den Bajazzo so schnell wie möglich. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Es reicht, wenn die Welt in meiner Musik zum Zirkus wird, in Wahr­heit kann ich gut darauf verzichten. +++ Mein Name ist Wolf­gang Amadeus Mozart, ich bin Kompo­nist: Am Ende müssen wir vergeben – dem Grafen ebenso wie dem Groiss­böck und uns selber. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Viel­leicht kommt es uns so vor, als wäre das Para­dise lost – aber gemeinsam können wir es noch retten. +++ Mein Name ist Sergei Prokofjew, ich bin Kompo­nist: Peter macht vor, dass man den Wolf nur gemeinsam mit Vogel und Katze fangen kann. +++ Mein Name ist Giacomo Puccini, ich bin Kompo­nist: Hört mal, wie die Mimi sich zu Tode hustet – jede® Tote ist eine indi­vi­du­elle, tragi­sche Oper! +++ Mein Name ist Maurice Ravel, ich bin Kompo­nist: Manche verstehen es eben nur, wenn man so redun­dant ist wie mein Boléro. +++ Mein Name ist Gioa­chino Rossini, ich bin Kompo­nist: Jeder will wieder nach reisen und zum Barbier gehen – dafür aber müssen wir hygie­nisch sein wie Aschen­brödel! +++ Mein Name ist Antonio Salieri, ich bin Kompo­nist: Es reicht doch, Zweit­bester zu sein. Schaut mal Poli­zeiruf statt immer diese Tatort-Kommis­sare! +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Ich habe ein Schach­spiel für vier Personen erfunden, aber jetzt, Leute, muss mal ‘ne Partie Fern­schach reichen. +++

CRESCENDO-Podcast: Hidden Secrets of Clas­sical Music
Detek­tiv­ge­schichten aus der Welt der Klassik

Mein Name ist Dmitri Schost­a­ko­witsch, ich bin Kompo­nist: Ey, Ihr Covi­didioten – wenn Ihr glaubt, dass Ihr in einer Diktatur lebt, dann habt Ihr noch nie „Die Nase“ unter Stalin kompo­niert. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Ich sage Euch, es ist echt scheiße, mit 31 Jahren zu sterben! +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nistin: Ich kenn« mich aus mit depres­siven Kerlen – helfen wir ihnen, gerade jetzt! +++ Mein Name ist Robert Schu­mann, ich bin Kompo­nist: Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Kinder­szenen in diesen Tagen nicht zu schreck­lich werden. +++ Mein Name ist Jean Sibe­lius, ich bin Kompo­nist: Poli­tiker sind nicht „die da oben“, meis­tens geben sie ihr bestes, so wie Sanna Marin in Finlandia. +++ Mein Name ist , ich bin Kompo­nist: Und wünsche mir, dass die Klas­sen­zimmer tech­nisch mindes­tens so gut ausge­stattet werden wie mein Tonstudio. +++ Mein Name ist Richard Strauss, ich bin Kompo­nist: Ihr Wütenden und Hassenden dieser Welt, schaut, wie das bei Elektra endet. +++ Mein Name ist Igor Stra­winsky, ich bin Kompo­nist: Zu Hause bleiben ist das moderne Früh­lings­opfer. +++ Mein Name ist Pjotr Iljitsch Tschai­kowski, ich bin Kompo­nist: Habt Mut, probiert mal Sputnik V. +++ Mein Name ist Giuseppe Verdi, ich bin Kompo­nist: Schützt unsere La Traviatas, gerade in diesen Zeiten! +++ Mein Name ist Antonio Vivaldi, ich bin Kompo­nist: So ein Jahr geht schnell vorbei. +++ Mein Name ist Richard Wagner, ich bin Kompo­nist: Verachtet mir die Meister nicht, Deutsch­land, schätze Deine Künstler endlich wert! +++ Mein Name ist Carl Maria von Weber, ich bin Kompo­nist: Samil zu beschwören, ist am Ende auch keine Hilfe. +++ Mein Name ist Anton Webern, ich bin Kompo­nist: Meinem Tod wurde sogar ein Requiem gewidmet, ein Requiem für die Toten des Absurden, das Sterben an Corona können wir dagegen gemeinsam verhin­dern. +++ Mein Name ist Kurt Weill, ich bin Kompo­nist: Das Happy End haben wir alle selber in der Hand.

ABSCHIED VON CHRISTA LUDWIG

Sie gehörte immer dazu, natür­lich, als sie noch aktiv sang, aber auch, nachdem sie ihre Karriere beendet hatte: war eine Legende. Nun ist die Mezzo­so­pra­nistin mit 93 Jahren gestorben. Die „Rosenkavalier“-Marschallin, die Carmen, Kundry, Strauss- und Mozart-Inter­pretin! Christa Ludwig war unver­wech­selbar: charis­ma­tisch, gestal­te­risch perfekt, erzäh­le­risch in allem, was sie tat. Oper als Kunst, mitten aus dem Leben. Sie wurde getragen und geliebt von und Leonard Bern­stein. Christa Ludwig war eine der letzten Vertre­te­rinnen der Goldenen Ära der Klassik, einer Welt, in der die Oper und ihre Künst­le­rinnen noch unan­tastbar waren und in der Klischees gern gepflegt wurden. Mit der #MeToo-Debatte hatte Ludwig so wenig am Hut wie mit dem Regie­theater. Gern erzählte sie, dass früher vieles besser gewesen sei, und dennoch hatte sie stets ein Ohr für junge Stimmen, half großen Karrieren auf die Sprünge, war eine leiden­schaft­liche Lehrerin und stand dem Nach­wuchs mit profundem Rat zur Seite. Am Sonntag ist die Berli­nerin Christa Ludwig in bei gestorben. Es wird nicht leicht werden, sich an eine Opern­welt ohne sie zu gewöhnen. CRESCENDO-TV traf Sie zuletzt zu ihrem 90. Geburtstag.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Das wich­tigste Thema der letzten Woche lief etwas im Wind­schatten: Die Kultur-Strei­chungen nach Corona werfen lange Schatten voraus, derzeit in , wo daran gear­beitet wird, das Theater zu schließen. „Das bishe­rige Verfahren ist nicht trans­pa­rent, sondern wird – soweit dies bekannt ist – hinter dem Rücken der Betrof­fenen und der Öffent­lich­keit geführt“, kriti­siert der Theater- und Musik­verein Görlitz. „Der Wunsch von Verwal­tung und Politik sich des kosten­in­ten­siven Musik­thea­ters zu entle­digen, ist in der Bevöl­ke­rung bekannt. Für die Formel ‚Schlie­ßung = Kosten­er­sparnis‘ bedarf es keines teuren Gutach­tens.“ Liebe Kultur­schaf­fende, es ist gut für Corona-Öffnungen zu streiten, genau so wichtig ist es, den Kultur­abbau, der bevor­steht, schon JETZT zu bekämpfen! Görlitz braucht Aufmerk­sam­keit und Hilfe! +++ Letzte Woche haben wir uns noch über den neuen Kuschel­kurs von Chris­tian Thie­le­mann gefreut. Nun kuschelt auch sein Ex-Rivale, Inten­dant Niko­laus Bachler (wenigs­tens ein biss­chen): „Ich möchte das nicht weiter kommen­tieren“, sagt er der NZZ zur Causa Thie­le­mann, „zumal die konkrete, prak­ti­sche Arbeit mit Chris­tian Thie­le­mann sehr gut funk­tio­niert. Die jetzige Situa­tion bis 2022 mit ihm und der Säch­si­schen Staats­ka­pelle ist sehr positiv. Für die Zukunft habe ich andere Absichten, und dafür wurde ich auch nach geholt. Deswegen war der Konflikt in gewisser Weise program­miert.“ +++ -Vorstand Daniel Froschauer hatte letzte Woche zu viel zu tun, um Medien-Anfragen zum Vorreihen des Orches­ters beim Impfen zu beant­worten. Der öster­rei­chi­sche Kurier fand dennoch heraus, dass die Aktion eigent­lich heim­lich statt­finden sollte. +++ Das , einst von gegründet, hat seinen neuen Sitz im Schloss Ester­házy in

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es? Viel­leicht in dem Abend, den ich – in sicherer Telefon-Distanz – mit René Pape und einem Rotwein verbracht habe. Wenn Sie mal 90 Minuten joggen, Auto fahren, kochen oder sonst wie unter­halten werden wollen: René Pape erzählt davon, wie Ruth Berg­haus mit goldenem Mercedes den Sozia­lismus vertei­digte, wie er beim Konsum in Hohen­schön­hausen aufhörte zu säch­seln, wie man als Sänger unan­ge­passt erfolg­reich sein kann, wie Sir ihn förderte und welche Erfah­rungen er mit dem Klunker-Publikum in Salz­burg machte, er spricht über seine Förderer und darüber, warum man den „Neue-Stimmen“-Gesangs­wett­be­werb in Gütersloh eher „Veran­stal­tung für betagte Sänge­rinnen und Sänger, die auch noch ein biss­chen Geld und Aufmerk­sam­keit mit ihrer Arbeit in einer Jury verdienen wollen“ nennen sollte.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de